Aschenpummel (German Edition)

chapter 22

Als ich am Sonntag erwachte, war ich vollkommen gerädert. Doch ich hatte keine Angst. Das war neu.

Und dabei würde die Fahrt auf den Kahlenberg heute besonders unerfreulich werden. Nicht zuletzt weil ich nun doch kein neues Auto hatte. Erwartungsgemäß reagierte Mama darauf äußerst ungehalten.

»Wo ist das schwarze Auto?«

»Da ist was dazwischengekommen. Lange Geschichte, jedenfalls müssen wir das alte Auto nehmen.«

»Ich setze mich nicht noch einmal in dieses Wrack. Ich weigere mich!«

»Gut, Mama, dann fahre ich dich eben nicht. Du kannst ja ein Taxi nehmen.«

Wütend starrte sie mich an.

»Du hast es also wieder mal vermasselt«, knurrte sie und stieg ein.

Ich ging auf die andere Seite und ließ mich auf den Fahrersitz fallen. Der Motor sprang sofort an, ich war Superwoman.

»Was hat ihn denn vergrault?«, kam es von rechts. »Du hast dich ihm doch nicht völlig nackt gezeigt, oder?«

»Ihn hat nichts vergrault«, entgegnete ich. »Sondern mich.«

»Sag das noch mal!«

»Mich hat etwas vergr –«

»Um Gottes willen!« Mama schlug die Hände vor das Gesicht. »Hab ich dir nicht eingetrichtert, nicht allzu wählerisch zu sein? Tissi kann es sich erlauben, wählerisch zu sein. Du hingegen, du kannst es dir einfach nicht erlauben, wählerisch zu sein. Ich meine es gut mit dir, vergiss das nicht.«

Ich überfuhr eine rote Ampel. Unabsichtlich, ehrlich.

»Mama«, presste ich hervor. »Hör jetzt auf damit, sonst bau ich noch einen Unfall. Ich muss mich beim Fahren konzentrieren.«

»Du sollst dich nicht konzentrieren!«, kreischte Mama. »Du sollst einmal was in deinem Leben richtig machen!«

Ich sagte nichts.

Mama wütete weiter.

Ich sagte noch immer nichts, starrte nur stur auf die Straße und fuhr. Superwoman, wie sie leibte und lebte.

Mama schien sich gar nicht mehr einzukriegen. »Hast du mir zugehört? Hörst du mir jetzt zu? Wieso antwortest du nicht?«

In mir brodelte es, doch ich sagte noch immer nichts.

Ich schaffte es, zur Blockhütte zu fahren, ohne einen Wutanfall zu bekommen. Mama hingegen war vollkommen hysterisch. Als ich den Motor abstellte und mich zu ihr wandte, sah ihr Gesicht aus, als hätte die kleine Melli es aus Plastilin geformt. Völlig verzerrt.

Sie fuchtelte mit ihrem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum: »Wir reden noch«, fauchte sie.

»Ja, das tun wir«, presste ich hervor.

Sie stieg aus, stapfte wütend auf die Hütte zu und verschwand darin. Sobald sie weg war, biss ich ins Lenkrad, so lange und fest, dass meine Bissspuren für immer überleben würden, selbst wenn das Auto schon längst verschrottet war. Danach ging es mir besser.

Mein Plan war simpel. Ich würde ein bisschen Zeit vergehen lassen und dann versuchen, in die Hütte zu gelangen. Sollte sie versperrt sein, dann würde ich direkt vor der Tür warten, bis Mama herauskam.

Es war ein seltsames Gefühl, auf einmal keine Angst mehr vor meiner Mutter zu haben. Die Erlebnisse der letzten Tage und die Tatsache, dass ich so viele neue Menschen in mein Leben gelassen hatte, hatten mich verändert. Die Angst selbst kam mir plötzlich unwirklich vor. Warum war ich immer so hörig gewesen? Was wäre denn großartig passiert, wenn ich mich einmal gewehrt hätte? Ganz einfach: nichts. Zumindest nichts Schlimmes. Sie hätte getobt, na gut, aber das tat sie doch ohnehin.

Eines aber war merkwürdig: Meine Vergangenheit hätte ich trotzdem nicht ändern wollen. An diesem Sonntag im Auto fühlte ich mich dermaßen stark und selbstbewusst, dass ich die letzten zweiunddreißig Jahre versöhnlich sehen konnte. Die hatten mich zu der gemacht, die ich war. Und ich mochte, wer ich neuerdings war.

Keine zehn Minuten später hätte ich allerdings vieles darum gegeben, nicht ich sein zu müssen.

Das war der Moment, als ich die Hüttentür öffnete.

Sie waren tatsächlich so unvorsichtig gewesen, die Tür nicht zu verschließen.

Es knarrte leise, als ich sie einen Spaltbreit öffnete. Ich zwängte mich hinein und stand in einem kleinen Vorraum, der vom nächsten Zimmer nur durch einen Perlenvorhang getrennt war.

In diesem Zimmer befand sich auf jeden Fall Mama. Ich hörte ihre Stimme, wenn ich die Worte auch nicht verstehen konnte.

Waren das überhaupt Worte? Sie gab so komische Laute von sich, war das … das war doch nicht möglich … nein, das konnte doch nicht Sex sein. Oder?

Ich wurde panisch. Ich musste raus hier. Wer wollte schon seine eigene Mutter bei so was sehen? Außer dem Zahnarzt.

Doch dann blieb ich doch. Ich musste es jetzt einfach wissen. Komme, was wolle. Traumatisierter konnte ich wohl kaum noch werden.

Ich schlich zu den Perlenschnüren und blinzelte hindurch. Als Erstes sah ich Batman. Er lag auf dem Boden, den Kopf zwischen den Vorderpfoten, die Augen geschlossen. Neben ihm stand ein Holztisch, auf dem sein Herrchen thronte. Mit einer Videokamera in der Hand. Mein Blick flog hinüber zu dem Aufnahmeobjekt.

Mama!

Sie lag auf einem Diwan. Wobei es korrekt heißen müsste, sie rekelte sich darauf. In irgendwas Rotem, Winzigem, das wohl sexy sein sollte und jede Menge Altersflecken enthüllte.

Sie hatte beide Hände auf ihren Brüsten und nuschelte vor sich hin: »Oh Fränk, Fränk, ich vermisse dich … deine Hansa vermisst dich so, Fränk …« Dann steckte sie zwei Finger in den Mund und stöhnte laut auf.

Das war aber bei weitem nicht das Schockierendste. Das, was mich wirklich zutiefst empörte und mich alle Vorsicht vergessen ließ, das hing an der Wand.

Ohne nachzudenken schoss ich zwischen den Schnüren hindurch und schrie: »Ihr Diebe! Ihr hundsgemeinen Diebe!«

An der Wand hinter Mama und dem Diwan hing Frank Sinatras signierte Ukulele und zahlreiche Fotos von ihm, alle ebenfalls mit Autogramm, und auf dem größten stand: For my dear friend Hansa.

Hans-a! Da hatte tatsächlich jemand ein a dazugekritzelt.

Mama schrie auf. Der Wagenleithner fummelte hektisch an der Kamera herum und donnerte dann los: »Hab ich dir nicht verboten, den Trampel hierherzubringen?«

Mama verteidigte sich jammernd: »Ich hab sie nicht hergebracht, sie muss mir gefolgt sein!«

»Ach, halt doch die Klappe«, fuhr ich sie an.

»Thaddäa!«, tobte sie und richtete sich auf. Jetzt sah ich, was sie anhatte. Einen roten Body, der manches verhüllte, das Wichtigste aber freiließ. O Gott, das wollte ich alles gar nicht sehen, ich wandte den Kopf ab und schnappte nach Luft. Dann stürzte ich zur Ukulele und riss sie vom Haken.

»Halt!«, brüllte der Wagenleithner. »Die Sachen gehören mir, ich habe sie rechtmäßig erworben!«

»Ach ja?«, rief ich. »Den Kaufvertrag möchte ich aber sehen!«

Ich schnappte mir die Fotos, griff mir die beiden Schallplatten, die vor dem Diwan auf dem Boden lagen, und war bereit, die Sachen unter Einsatz meines Lebens zu verteidigen.

»Bädmän! Fass!« Ich zuckte zusammen. Batman blieb die Ruhe selbst. Er erhob sich im Zeitlupentempo und streckte sich erst einmal genüsslich, bevor er zu mir rüberkam.

»Fass!«, wiederholte sein Herrchen.

Batman riss das Maul auf.

Er gähnte. Dann schleckte er meine Hand ab. »Mein braver Schatz«, flüsterte ich.

»Ich lass dich einschläfern, Scheißköter!«, brüllte Wagenleithner. Batmans Ohren zuckten ein bisschen, dann schleckte er weiter.

Wagenleithner baute sich vor mir auf. Sein Gesicht war krebsrot, auf seiner Stirn pochte die dicke Ader. »Diese Sachen gehören mir«, wiederholte er keuchend. »Ich habe sie gewonnen.«

»Was?«

»Ja, du hast ganz richtig gehört, du Trampel. Dein Chef, dieser alte Narr, war ein Spieler, wusstest du das nicht? Er konnte nie aufhören. Hat sogar seinen öden Schuhladen auf die Karte gesetzt. Ich hab ihn gewonnen, was glaubst du, was er da geheult hat. Und weil ich so ein unendlich guter Mensch bin«, er sagte das völlig ohne Ironie, »hab ich gnädigerweise statt des Schuhladens die Sinatrasachen genommen.«

»Um damit Pornos zu machen?«

»Thaddäa«, mischte Mama sich jetzt ein. »Was für Worte nimmst du in den Mund?«

Ich schnappte nach Luft. »Ich? Du –«

Vornehm sagte sie: »Das ist Internetentertainment und hat überhaupt nichts mit Pornographie zu tun. Schließlich kann nicht jeder Dahergelaufene unsere Seite anschauen. Nur Stammkunden.«

Verzweifelt rief ich: »Was hat das mit dem armen Frank Sinatra zu tun?«

Der stolze Produzent wurde geschäftsmäßig: »Nicht, dass es viel Sinn hat, dir das zu erklären, aber bitte. Heutzutage, wo jede kleine Hausfrau sich vor ihrer Webcam auszieht, braucht man einen Aufhänger. Und du glaubst nicht, wie vielen Männern es gefällt, wenn sie glauben, dass sie sich an der Ex-Geliebten eines Stars aufgeilen können.«

»Die glauben euch das?«, entfuhr es mir.

»Wir haben jede Woche an die viertausend Zugriffe«, verkündete Mama stolz.

Wagenleithner griff nach der Ukulele. »Und jetzt her mit den Sachen, und dann hau ab, wir müssen weiter drehen. Unser Publikum wartet.«

»Nein«, rief ich. »Das sind die Sachen von Hans! Und du, Mama, wirst mir helfen, sie ins Auto zu bringen!«

»Thadd –«

»Sonst erzähl ich alles Tissi!«, spielte ich meinen größten Trumpf aus.

»Das wagst du nicht!«

»Das wirst du ja sehen. Und nicht nur ihr. Ich sage es auch deinen Nachbarn. Überhaupt allen in der Sieveringer Straße«, drohte ich an Wagenleithner gerichtet weiter.

»Ha, wer wird dir schon glauben!«, gab er zurück.

»Nicht nur mir wird man glauben«, verkündete ich. »Auch Hans’ Tochter, dann Bonnie-Denise, dem Buchhändler von nebenan und dem Zahnarzt. Und der Assistentin vom Zahnarzt. Alle diese Menschen sind auf meiner Seite. Und dann noch mein Freund bei der Polizei, der Ewald Bauer. Soll ich ihn gleich anrufen?«

»Die Sachen gehören mir!«, beharrte Wagenleithner und stampfte mit dem Fuß auf. Doch er sah etwas verunsichert aus.

»Thaddäa, jetzt hör Mama mal ganz genau zu –«

»Wenn du mit mir mitfahren willst, Mama, dann komm jetzt!«, schnauzte ich sie an. Natürlich hätte ich sie einfach auf der Hütte zurücklassen können, doch selbst nach all dem, was geschehen war, konnte ich sie nicht einfach den Launen des Wagenleithners überlassen. Oder ihn ihren Launen.

Sie stand wie angewurzelt da. Dann holte sie erhobenen Hauptes ihre Kleidung hinter dem Diwan hervor und zog sich an.

»Wo ist das Foto, auf dem Hans mit drauf ist?«, fuhr ich den Wagenleithner an.

Dieser blinzelte listig aus seinen Schweinsäuglein. »Ich geb es dir, wenn du mir die anderen Sachen zurückgibst.«

»Geh scheißen! Du gibst es mir, sonst ruf ich Ewald Bauer von der Soko Porno an.«

»Ich hab nichts Unrechtes getan!« Ich glaubte ihm kein Wort, das war sicher nicht mit rechten Dingen zugegangen, da mochte er jetzt rumgreinen, wie er wollte.

»Wo?«, blaffte ich ihn an und kam mir fast so selbstsicher vor wie Tissi.

Er nahm das Foto aus der Tischlade und ließ es vor mir auf den Boden fallen. »Ersticken sollst du dran, Teufelsbrut.«

Ich bückte mich, mit all den Sachen auf dem Arm, und klemmte das Foto zwischen zwei Fingerspitzen. »Hast du das gehört, Mama? Er hat dich Teufel genannt.« Ich drehte mich noch ein letztes Mal um. »Komm, Batman. Komm mit mir.«

Wagenleithner knurrte. Batman trabte mir nach.

Die Heimfahrt war reizend. Hans’ Andenken lagerten im Kofferraum, Mama zeterte auf dem Beifahrersitz, Batman hechelte auf dem Rücksitz, und der Fiat, der ja wirklich nur noch diese eine Fahrt zu meistern hatte, stotterte um sein Leben.

»Ich hab das alles nur für dich und deine Schwester getan. Um euch den Lebensstandard zu bieten, den ihr verdient.«

»Mama, du hast mir noch nie Geld zugesteckt oder mich sonstwie gesponsert. Seit ich siebzehn bin, verdiene ich mein eigenes Geld.«

»Pfui, du undankbares Kind! Und all die Jahre davor? Was glaubst denn du, was ich für Schulden gemacht habe, um meine beiden Mädchen durchzufüttern? Diese Schulden wollen ja erst bezahlt sein!«

»Und seit sechs Jahren fahr ich dich da rauf, damit du Hansa spielen kannst?«

»Nein!« Mama klang empört. »Hansa existiert erst seit drei Jahren. Als Allererste gab es Grace, die Geliebte von Bing Crosby, dann Jessica, die Geliebte von Dean Martin und erst dann kam Hansa.« Sie seufzte und schloss bedauernd: »Der Name ›Hansa‹ war natürlich etwas schwierig.«

»Und hattet ihr von den anderen auch Originalsachen?«

»Nein, so was ist ja nicht nötig. Man bastelt sich das alles selbst. Aber natürlich wirkte mit den echten Frank-Sinatra-Sachen alles viel realer.« Verträumt fügte sie hinzu: »Manchmal war es fast so, als wäre ich tatsächlich seine Geliebte gewesen.«

Na, dann konnte ich mir ja fast vorstellen, dass ich seine Tochter war.

»Du wirst Tissi doch nichts davon erzählen, oder?«

Als ob ich scharf darauf wäre, mit Tissi über Mamas verborgene Talente zu sprechen! Ich verdrehte die Augen. Dann fragte ich: »Warum ist dir so wichtig, dass sie nichts davon erfährt? Warum durfte sie nicht einmal von unseren gemeinsamen Fahrten auf den Kahlenberg erfahren?«

Meine Mutter sah mich an, als hätte ich sie gefragt, ob man bei Regen nass wird. »Ja, was glaubst du denn, Thaddäa? Weil sie natürlich sofort nachgeforscht und herausgefunden hätte, was ich auf der Hütte mache. Sie hat einen wachen Geist, deine Schwester, weißt du?«

»Den hab ich auch«, sagte ich ärgerlich. »Ich bin nur nicht ganz so neugierig wie sie.«

»Und du bist toleranter«, fügte Mama hinzu. »Ja, das bist du.«

Bevor ich Zeit hatte, mich über dieses Zugeständnis zu wundern, gab der Fiat endgültig seinen Geist auf.

Am Fuße des Kahlenbergs blieb er stehen und ließ sich nicht mehr starten. Ich rief den Pannendienst an, der versprach, so schnell es ging, jemanden zu schicken. In einer bis drei Stunden wäre Hilfe da. Na bravo.

Als ich das Handy zuklappte, fuhr ein Polizeiwagen heran und stellte sich vor uns. Doppelbravo.

Ein Beamter in mittleren Jahren mit Bürstenschnauzer stieg aus und kam auf den Fiat zu. Ich kurbelte das Fenster runter.

»Sie parken mitten auf der Straße. Und das ohne Warnblinkanlage«, stellte er fest und schnalzte mit der Zunge. Gleich viermal hintereinander.

»Ähm, ja, tut mir leid, aber mein Wagen hat den Geist aufgegeben. Nichts funktioniert mehr. Ich hab grade den Abschleppdienst angerufen.«

Er schnalzte zwei weitere Male mit der Zunge, dann streckte er die Hand aus. »Führerschein und Wagenpapiere, bitte.«

Mit zittrigen Fingern kramte ich den Zulassungsschein hervor. »Hier. Den Führerschein hab ich leider zu Hause vergessen.«

»Vergessen, so so. Und das Warndreieck, hamma das auch vergessen?«

»Nein, das hab ich hinten.« Ich stieg aus und sperrte den Kofferraum auf. Ich musste mich durch eine ganze Menge Sinatrasachen kramen, um das Warndreieck zu finden.

Und fand es schließlich doch nicht, verdammt.

»Kein Führerschein, kein Warndreieck, eine Schrottkiste von einem Wagen«, fasste der Polizist zusammen.

Wurscht, Teddy, alles egal. Ist eh schon alles wurscht.

»Sind das Originalautogramme vom Frank Sinatra?«, fragte er plötzlich.

Ich nickte.

»Ich bin ein großer Fan.« Er zwinkerte mir vielsagend zu.

Langsam griff ich in den Kofferraum und zog ein Foto mit Unterschrift hervor. Der Sinatrafan schüttelte den Kopf. »Netter Versuch. Wenn, dann will ich die kleine Gitarre.« Er zeigte auf die Ukulele.

»Sicher nicht«, gab ich zurück.

»Dann eine von den Schallplatten. Und das Foto.«

Unglaublich, diese Gier heutzutage. Ich gab ihm die Sachen, und er ging zum Polizeiauto zurück.

»Was hast du dich so lange mit dem abgegeben?«, meckerte Mama, als ich wieder neben ihr saß. »Völlig umsonst. Der hatte einen Ehering am Finger.«


Das Dumme an so einem Automatikauto ist, dass man es nicht normal abschleppen lassen kann. Hat irgendwas mit dem Getriebe zu tun oder so. Jedenfalls musste so ein Riesenanhänger kommen, der meinen Fiat hinten drauf nahm, während Mama, Batman und ich mit dem ganzen Sinatrazeug auf dem Schoß neben dem Fahrer saßen.

Mama thronte zwischen dem Fahrer und mir und hatte anscheinend Lust auf einen Plausch. »Ich war die Geliebte von Frank Sinatra«, erzählte sie launig.

»Und ich bin der Kaiser von China«, lautete die gebrummte Antwort von links.

»Tatsächlich?« Mama klang nicht sonderlich beeindruckt. »Und wo sind Ihre Schlitzaugen?«

»Mama!«

»Die Chinesen haben ja ein großes Problem«, fuhr meine Mutter fort. »Sie sehen aus wie die Japaner. Und das schmeckt ihnen nicht. Das schmeckt ihnen gar nicht. Darum der Vietnamkrieg. Erst gestern habe ich in der Jetzt gelesen …«

Ich hatte gar nicht gewusst, dass ich so gut auf der Ukulele war. Und so laut. Ich malträtierte die Saiten, so heftig ich nur konnte. Mama versuchte mich zu überbrüllen: »Jedenfalls hat unsere Regierung den Klimawandel extra für die ganzen Ausländer gemacht. Damit es bei uns so heiß wird wie bei denen und sie dann in noch größeren Scharen zu uns strömen. Die ganzen Neger, die Schlitzaugen, die Kopftücher …«

»Stopp!«, brüllte ich, und wäre es nicht Frankies Ukulele gewesen, dann hätte ich sie Mama über den Kopf gezogen.

Sie sah mich verdattert an. Der Fahrer bremste mit quietschenden Reifen und fuhr an den Straßenrand.

In der nächsten Sekunde standen Mama, Batman und ich auf der Wiese und starrten dem Abschleppwagen nach, der immer kleiner und kleiner wurde.

Mama warf theatralisch die Hände Richtung Himmel. »Jetzt haben wir den Schlamassel. Und alles nur wegen dir und deiner Unbeherrschtheit.«

Ich stellte mich vor sie hin und sah ihr direkt in die Augen. »So geht das nicht weiter, Mama, es wird jetzt ein paar Änderungen geben.«

Sie machte den Mund auf, doch ich kam ihr zuvor. »Erstens wirst du dich respektvoll mir gegenüber verhalten. Zweitens werde ich dir jeden Tag eine Zeitung kaufen, so dass du nie wieder die Jetzt lesen musst. Und drittens wirst du mir nicht mehr nachspionieren. Nie wieder. Ist das klar?«

»Thaddäa! Was …«

»Ach ja«, unterbrach ich sie. »Ein Viertens gibt es auch noch. Ich fahre dich nie wieder irgendwohin. Ich hab übrigens gar keinen Führerschein.«

»Dann kauf dir einen!«

»Mama«, sagte ich langsam. »Das sind meine Bedingungen. Wenn du dich nicht daran halten kannst, dann kann ich dich nicht mehr besuchen kommen.«

Meine Mutter kniff die Augen zusammen. »Ich will die Zeitung pünktlich jeden Tag um acht Uhr auf dem Tisch haben.« Sie fuchtelte mit dem Zeigefinger vor meiner Nase herum. »Das ist meine Bedingung.«

Durchaus flexibel, meine Mutter.

Miedler, Nora's books