chapter 19
Der Freitagmorgen begann hervorragend, ich hatte nämlich mit Gisela vereinbart, gemeinsam einen neuen vorteilhaften Badeanzug kaufen zu gehen, musste also weder laufen noch schwimmen und verzichtete konsequenterweise auch gleich auf das frühmorgendliche Wechselduschen.
Die Einkaufstour erwies sich jedoch alles andere als einfach. Es war richtig harte Arbeit, und ich begann zu verstehen, dass es die Mädchen bei Germanys Next Topmodel tatsächlich nicht leicht hatten. Wodurch mir die Sendung keineswegs sympathischer wurde. Pubertierende Hungerhaken, denen verklickert wurde, dass sie noch mehr hungern mussten, um noch mehr Haken zu werden. Natürlich sah ich mir trotzdem jede Folge an, schaufelte dabei Erdbeereis in mich rein und stellte mir vor, was ich Heidi Klum alles vor den Latz knallen würde, wenn ich einer der Haken wäre.
Jedenfalls war es unglaublich anstrengend und frustrierend, in zwölf verschiedene Geschäfte zu rennen und achtundsiebzig Badeanzüge anzuprobieren. Vielleicht waren es ja auch nur drei Geschäfte und elf Modelle, aber wer zählte schon so genau mit.
Fündig wurden wir schließlich ausgerechnet im ärgsten Altweiberladen. Und das noch dazu bei einem Bikini. Erst war ich schockiert über den Vorschlag der Verkäuferin, aber als ich den Bikini anprobiert hatte, sah ich, dass sie sich durchaus etwas dabei gedacht hatte. Die Hose war dunkelgrün und an den Seiten ziemlich breit, was den Übergang zwischen meinem normal gebauten Becken und den Reiterhosen um einiges besser machte. Das Oberteil war ein Bügel-Bikini, weiß mit dunkelgrünen Längsstreifen, die aus den Mäusefäustchen fast schon ganze Mäusefäuste machten. Der Bikini hatte also geschafft, was die Badeanzüge nicht zustande gebracht hatten: er schmälerte unten und voluminierte oben. Gisela reckte den Daumen hoch.
»Du siehst großartig aus, Teddy, brauchst dich morgen keinesfalls zu verstecken.«
»Und was ist damit?« Unglücklich zeigte ich auf meine Schenkel.
»Was ist womit?«
»Na, die Orangenhaut.«
»Dreh dich mal um.«
»Nein.«
»Jetzt hab dich nicht so, denkst du, ich hab noch nie eine Frau im Bikini gesehen? Dreh dich um.«
Gott, wie ich das hasste. Doch ich tat ihr den Gefallen, wenn auch mit eingekniffenem Hinterteil.
Sie lachte. »Teufel, Teddy, lass locker, unbedingt.«
Ich versuchte mich zu entspannen.
Sie tätschelte mir den Schenkel. »Teddy, ganz wichtig, auf gar keinen Fall den Hintern anspannen, wenn du in Badeklamotten bist. Klar?«
»Klar.«
»Du weißt warum, oder? Wenn du anspannst, dann hast du wirklich Orangenhaut. Und zwar allererster Güte, Teufel, Teufel. Einfach locker lassen. Steh einfach gerade, der Rest gibt sich von selbst.«
»Ach, ich wünschte, ich wäre du.«
»Das wünschst du dir nicht.«
»Doch«, beharrte ich. »Du bist nie unsicher. Du bist nie schwach. Aber wenn ich so aussehen würde wie du, wäre ich vielleicht auch nicht mehr schwach.« Ich hörte selbst, dass der letzte Teil meines Satzes mehr nach einer Frage klang als nach einer Feststellung.
Gisela schüttelte den Kopf. »Mamma mia, zieh dich um, danach gehen wir auf einen Kaffee.«
Der Kaffee bestand aus zweimal grünem Tee. Ich weiß nicht warum, aber in Wien geht man immer »auf einen Kaffee«, egal was man dann tatsächlich trinkt. Oder auch tut. Ich für meinen Teil hatte ja mit einer Melange geliebäugelt, schloss mich aber gottergeben Giselas Bestellung an. Grüner Tee klang sehr gesund und entschlackend und so.
»Du willst also ich sein«, nahm Gisela unseren Gesprächsfaden von vorhin auf.
Ich nickte.
»Erklär mir noch mal, warum.«
»Weil ich, wenn ich du wäre, keine Angst vor dem Rest meines Lebens hätte, ich wäre absolut zuversichtlich, ich wüsste, ich würde alles schaffen. Wenn ich du wäre.«
Gisela nahm den Teebeutel aus ihrer Tasse und quetschte mit Hilfe des Löffels die letzten Tropfen heraus. »Teddy, ich erzähl dir kurz was über mich.« Sie legte den Löffel auf die Untertasse und stützte die Ellbogen auf den Tisch.
»Ich bin in einem Kuhkaff aufgewachsen«, begann sie. »Als ich mit siebzehn hundertprozentig sicher war, dass ich lesbisch bin, habe ich mich geoutet. Meine Eltern haben nicht mehr mit mir geredet. Das heißt, wenn wir unter Leuten waren, schon. Doch wenn wir zu Hause waren, hätte ich mit dem Kopf gegen die Wand rennen können, sie hätten nichts gesagt. Das hat mich so wütend gemacht, dass ich mich – aus Rache für ihre Scheinheiligkeit – auch gleich dem ganzen Dorf gegenüber geoutet habe. Danach war ich die Hexe von unserem Kuhkaff. Ich bin nach Wien gegangen und in meine erste WG gezogen, zusammen mit einem Mädchen und einem Jungen. Das Mädchen wurde meine beste Freundin, und sie ist es heute noch. Sie ist verheiratet, und ihre Kinder sind sieben und zehn Jahre alt. Seit vierzehn Jahren bin ich verliebt in sie, darf es ihr aber nie verraten, weil das unsere Freundschaft zerstören würde, das weiß ich.« Sie zuckte mit den Schultern. »Sie ist die Liebe meines Lebens.«
»Scheiße«, sagte ich. Gisela nahm einen Schluck von ihrem Tee. »Oder auch nicht«, entgegnete sie. »Scheiße wäre, wenn ich keinen Kontakt mehr zu ihr haben dürfte, das wäre wirklich Scheiße. Aber so alles in allem darf ich mich doch eigentlich recht glücklich schätzen.«
Ich sah anscheinend etwas ungläubig drein, denn Gisela beeilte sich zu sagen: »Teddy, jetzt geh mal in Gedanken alle Menschen durch, die du kennst, und dann stell dir vor, du könntest mit einem von ihnen tauschen. Und zwar mit allem Drum und Dran, Charakter, Gefühlslage, Aussehen, Beruf, alles. Stell dir das einfach mal vor. Und dann nenne mir eine Person, mit der du gerne tauschen würdest. Für die du dich selbst hergeben würdest.«
Ich überlegte. Naturgemäß ging ich erst mal die hübschesten Frauen durch. Gisela? Nein, vielleicht doch nicht, die hatte selbst genug Probleme. Tissi? Mein ganzes Leben hatte ich so aussehen wollen wie sie. Begehrt werden wie sie, ihr Leben führen. Doch sogar sie hatte Probleme, wie ich seit gestern wusste. Vanessa? Hmm, Vanessa tat mir leid, nein, so wollte ich auch nicht sein. Bonnie-Denise? Dann müsste ich aber auch ihren Mann nehmen. Und die Kinder. Und dann wäre nichts mehr mit dem Piraten. Vielleicht mit dem Piraten selbst tauschen? Dann würde ich zumindest unsterblich geliebt werden, nämlich von Teddy. Und wenn ich der Pirat wäre, dann wäre der Pirat ich, und dann wäre eigentlich wieder alles so, wie es eh schon war. Das wäre auch nicht gut, und außerdem, nein, ich wollte doch ich sein und den Piraten erobern!
»Nein«, entfuhr es mir plötzlich. »Nein, ich möchte tatsächlich niemand anderes sein. Ich will ich sein. Nur besser.«
Gisela lachte laut. »Na, dann mach dich doch besser. Mach einfach. Ein anderer kann’s nicht für dich tun.«
»Weißt du was, Gisela? Aber –«, ich stockte, »was ich dir jetzt erzähle, darfst du nie jemandem sagen.«
Gisela hob feierlich die linke Hand. »Ich schwöre.«
»Letzten Freitag war ich kurz davor, mich aus dem Fenster zu schmeißen.«
Sie wirkte nicht im Mindesten schockiert, sie fragte nur: »Und warum?«
Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Oh Mann, das brauchte ich jetzt aber echt nicht. Energisch räusperte ich mich. »Wegen so vielem.« Ich seufzte. »Zum Beispiel wegen meiner Mutter, die sich andauernd einmischt, die mich nicht mein Leben leben lässt.« Ich ließ die Faust auf die Tischplatte fallen. »Wobei ich ja nicht mal weiß, wie ich gerne leben würde, wenn sie mich ließe. Ich bin zweiunddreißig und hab noch nie einen Mann gehabt. Noch nie!«
Gisela lächelte. »Na und? Ich auch nicht.«
Ich fand das nicht lustig. »Manchmal, wenn ich unter Leuten bin, im Schuhladen oder einkaufen oder einfach nur auf der Straße gehe, dann habe ich das Gefühl, dass alle es mir ansehen. Als würde es mir ins Gesicht geschrieben stehen. Es ist wie ein Stigma. Ich bin eine Aussätzige. Ich gehöre nicht dazu.«
Sie nahm meine Hand. »Teddy, niemand sieht dir das an. Niemand. Was fast schade ist, weil du stolz darauf sein solltest, dass du es anders machst als die Masse. Das zeugt von Stärke.«
»Aber ich möchte doch so gerne sein wie alle anderen«, stieß ich verzweifelt hervor. »Ich will ganz normal sein.«
»Teddy, was bedeutet denn ›ganz normal sein‹«? Wie der ganz normale Rassist von nebenan? Wie der ganz normale kleinkarierte Bürger, der kein anderes Vergnügen kennt, als über die Nachbarn zu meckern? Wie die ganz normale Ehefrau, die mit ihrem Mann schläft, während sie an ihren Bürokollegen denkt? Das sind normale Menschen, fürchte ich. Möchtest du sein wie sie?«
Ich schüttelte den Kopf.
Gisela ließ meine Hand los. Sie sah ernst aus. »Individualität wird leider viel zu wenig geschätzt. Die Welt wäre bunter und besser, wenn wir nicht alle in dem Zwang leben würden, so sein zu müssen wie Hinz und Kunz.«
Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. Plötzlich fragte Gisela: »Warum hast du denn noch nie einen Mann gehabt?«
»Na, weil mich nie einer interessiert hat, den ich hätte haben können«, sagte ich und fegte mit der Hand beinahe meine Teetasse vom Tisch. »Wahrscheinlich hätte ich aber nicht mal die haben können, die mich nicht interessiert haben!«
»Das ist der größte Unsinn, den ich je gehört habe. Teddy«, Gisela beugte sich zu mir, »jetzt will ich dir mal was über Männer verraten. Wenn eine Frau es geschickt anstellt, dann bekommt sie jeden – und damit meine ich wirklich jeden – Heteromann ins Bett. Ausnahmen gibt’s nicht. Auch nicht George Clooney.«
Ich grinste. George Clooney, das wäre was.
Indessen fuhr Gisela fort: »Und das nicht unbedingt, weil Männer notgeiler sind als Frauen. Aber einen Mann kannst du grundsätzlich immer bei seiner Eitelkeit packen. Du musst nur herausfinden, ob es ihm mehr schmeichelt, erobert zu werden oder selbst zu erobern. Also, Teddy, Folgendes: Wenn du noch Jungfrau bist, dann ist das erstens mal dein gutes Recht und zweitens«, sie machte eine kurze Pause, »bist du selbst dafür verantwortlich.«
Ertappt blickte ich hoch.
Gisela lächelte. »Und nur, dass ich das noch mal klarstelle: Ich finde es absolut prima, dass du nicht mit jedem Dahergelaufenen in die Kiste steigst. Ich finde es prima, wenn du für dich entschieden hast, dass du noch warten willst. Aber wenn du eigentlich nicht warten willst, dann liegt es allein in deiner Hand.«
Atemlos stieß ich hervor: »Wie krieg ich Sigi ins Bett? Soll ich ihn auch bei seiner Eitelkeit packen? Welcher Typ ist er?«
Gisela setzte ihre Tasse ab. »Sigi ist kein Eroberer. Er muss erobert werden. Doch du bist schon auf dem besten Weg dazu. Sei einfach weiter nett zu ihm. Sei du selbst, er mag dich ja. Du musst nur mehr Selbstvertrauen haben.«
Ich knirschte mit den Zähnen. »Ich weiß.«
Gisela nickte mir aufmunternd zu, dann sagte sie: »Und verrätst du mir jetzt noch, warum du dich dann doch nicht aus dem Fenster geschmissen hast?«
»Weil ich leben will«, antwortete ich. »Und weil ich nicht versäumen möchte, was an Schönem vielleicht noch kommen wird.«
Gisela nickte zufrieden und trank ihren Tee aus. »Das sind zwei hervorragende Gründe, Teddy. Vergiss sie nie.«
Ich spürte das Leben in mir. Langsam schien ich alles auf die Reihe zu bekommen. Morgen würde mein Date sein, Mama gab sich zurzeit handzahm, Tissi hatte auch kein leichteres Leben als ich und Vanessa mochte mich ganz ehrlich.
Nur eine Sache lag mir im Magen. Ich musste dem Zahnarzt bei der heutigen Fahrstunde unbedingt Grenzen setzen. Musste ihm sagen, dass es einen anderen Mann in meinem Leben gab. Dass es für ihn und mich keine gemeinsame Zukunft geben konnte.
Ich musste also das allererste Mal in meinem Leben einem Mann das Herz brechen.
Das stellte ich mir so vor:
Ich steige zum Zahnarzt ins Auto. Noch ehe ich mich wehren kann, küsst er mich mit einer Leidenschaft, die loderndstes Feuer entfacht, dessen Glut uns beide zu verbrennen droht. Ich laufe Gefahr, unter seinen Küssen zu ersticken, ihm selbst droht das Herz aus der Brust zu springen. »O Hubertus«, stöhne ich, »Hubertus, wie gern würde ich mich dir hingeben, für immer dein sein, doch –«, ich stocke. Wie soll ich es ihm nur sagen, wo ich doch weiß, wie sehr es ihn schmerzen wird? »Was?«, stößt er hervor. »Liebst du mich denn nicht?« Ich streichle sanft seine Wange und hauche behutsam: »Du wirst eine andere finden, eine, die besser zu dir passt.« – »Es gibt keine andere!« Ich drücke ihm einen letzten Kuss auf die Lippen und sage: »Es tut mir leid, Hubertus, doch ich liebe einen anderen Mann.« Er fasst sich an die Brust, unsere Tränen laufen im selben Rhythmus die Wangen hinunter, er sagt: »Dann gebe ich dich also frei, du Liebe meines Lebens.« Dann steigt er aus. Ich rutsche rüber auf den Fahrersitz und fahre mein neues Auto nach Hause.
Scheiße! Ich hatte ja ganz vergessen, dass ich den Peugeot auf mich anmelden musste. Himmelschimmel, wie sollte ich denn am Sonntag auf den Kahlenberg fahren, wo doch noch die Nummernschilder vom Zahnarzt draufgeschraubt waren?
Das musste ich irgendwie mit ihm regeln. Also ihm vielleicht nicht gleich von vornherein das Herz brechen, sondern ihn erst bitten, dass er mir das Auto diesen Sonntag ausnahmsweise so überließ.
O Mann, mir blieb auch nichts erspart.
Trotzdem war ich gespannt auf den Abend. Wie es wohl sein würde, mal keinen Korb zu erhalten, sondern einen zu geben?
Um Punkt sieben kletterte ich auf den Beifahrersitz. Der Zahnarzt sah mich nicht an, sondern starrte nur geradeaus durch die Windschutzscheibe. Das kam mir komisch vor.
»Hallo«, sagte ich weitaus koketter, als ich es vorgehabt hatte.
»Hallo«, sagte Strohmann. »Hallo, Teddy.«
Keine »liebste«? Kein Kuss? Kein Mr. Rochester? Verunsichert schnallte ich mich an und ließ mich schweigsam auf unseren Parkplatz auf der Höhenstraße kutschieren.
Schweigsam zumindest die ersten hundert Meter. Dann hielt ich es nicht mehr aus. Ich war so darauf eingestellt gewesen, die unerbittliche Herzensbrecherin zu spielen, dass seine plötzliche Distanz mich regelrecht enttäuschte.
»Hubertus«, sagte ich und war mir bewusst, dass ich ihn das erste Mal bei seinem Vornamen genannt hatte. »Hubertus, ist irgendetwas passiert?«
Stumm schüttelte er den Kopf, während er seinen Blick auf die Straße gerichtet hielt.
»Sie sind heute so … anders …«
»Ja, das bin ich.«
»Hat das … hab ich irgendwas falsch gemacht?«, fragte ich.
»Nein.«
Okay, das beruhigte mich fürs Erste.
Beim Üben saß er stocksteif neben mir und sah kommentarlos zu, wie ich den Motor abwürgte. Und dann noch mal. Und dann noch mal.
Genug war genug.
»Hubertus, bitte sagen Sie mir, was los ist. Ich bringe gar nichts zustande, wenn Sie so sind. Ist es wegen dem Auto? Wenn Sie es mir doch nicht geben wollen, dann ist das natürlich völlig in Ordnung.« Was konnte ich auch anderes sagen?
Doch der Zahnarzt sagte: »Sie können es gleich heute mitnehmen. Die Ummeldung können wir nächste Woche erledigen.«
Prima! Das war es ja, was ich gewollt hatte. Ich bekam das Auto, und aus war es mit den nervigen Avancen vom Zahnarzt. Na super, dann konnte ich ja zufrieden sein. Alles hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst.
Natürlich konnte ich trotzdem nicht lockerlassen.
»Gefalle ich Ihnen nicht mehr?«, fragte ich zaghaft und machte mich im Geheimen darauf gefasst, dass er mich auslachen und sagen würde, dass ich ihm doch bitte nie gefallen hätte.
»Teddy, ich bin einfach zur Vernunft gekommen und, ach, reden wir nicht mehr davon.«
»Vernunft ist blöd!«, rief ich empört. Ich wollte ihn nicht vernünftig, ich wollte ihn als Mr. Rochester. Ich wollte doch heute sein Herz brechen.
»Ich fahre Sie jetzt nach Hause, Teddy. Das Auto bleibt dann gleich bei Ihnen.«
Wir tauschten die Plätze, und er fuhr mich nach Hause. Mein Herz begann schneller zu klopfen, als er in der Seitengasse parkte. Doch er machte keinerlei Anstalten, unsittlich zu werden, also hatte der versteckte Parkplatz wohl nur den einen Zweck, meiner Mutter auszuweichen.
»Ich werde jetzt aussteigen«, erklärte er. »Wegen der Formalitäten werde ich nächste Woche Fräulein Hoffmann zu Ihnen ins Geschäft schicken, dann können Sie die Ummeldung vornehmen.«
Mir kam ein Gedanke. »Hat Vanessa, also das Fräulein Hoffmann, irgendetwas über mich gesagt, sind Sie deshalb böse auf mich?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, niemand hat etwas gesagt. Ich habe lediglich für mich entschieden, dass ich so nicht weitermachen kann.«
»Wie? Wie denn weitermachen? Oder nicht weitermachen? Womit?«
»Ich steige jetzt aus«, wiederholte er und hatte die Hand schon auf dem Türgriff. Nein! Ich konnte doch nicht zulassen, dass mein größter, mein einziger Verehrer plötzlich aus meinem Leben verschwand und ich mich fühlen musste, als wäre ich verlassen worden, dabei hatte doch ich ihn verlassen wollen.
»Nein!«, rief ich. »Bitte nicht!« Pack ihn bei seiner Eitelkeit, Teddy!
»Hubertus, ich bin noch Jungfrau.«
Sein Kopf schoss herum, endlich sah er mich an.
Ich schluckte und fuhr fort: »Und ich glaube, dass ich mich immer nur für Sie aufgehoben habe.«
»Ist das Ihr Ernst?«
Natürlich nicht, aber ich nickte. Und hoffte, dass er mir gleich eine Liebeserklärung machen würde, woraufhin ich ihm dann sanft und charmant einen Korb geben konnte. Auch wenn ich noch keine Ahnung hatte, wie ich das begründen könnte, wo ich ihn doch soeben geradezu angefleht hatte, mich zu entjungfern.
In der nächsten Sekunde lag sein Kopf auf meiner Brust beziehungsweise auf dem Miss Bombastic und so weiter.
Und dann begann er, heiße Küsse auf mein Zitronenshirt zu verteilen. Oh, oh – so, jetzt war es aber wieder gut, ich hatte gesehen, dass ich ihn noch rumkriegen würde, jetzt konnte er ruhig wieder aufhören. »Ähm, Hubertus …«
Er hob den Kopf und legte seinen Zeigefinger an meine Lippen. »Oh Teddy, sagen Sie jetzt nichts. Kommen Sie mit zu mir!«
»Äh, ähm, meine Mutter wartet auf mich. Leider.«
»Dann morgen Abend. Um acht. Ich wohne direkt über der Praxis. O Teddy, nicht nein sagen. Liebste Teddy, ich brauche Sie doch!«
»Also gut, morgen Abend dann.«
Er nahm mein Gesicht in beide Hände und versprach: »Das wird ein unvergesslicher Abend werden, Teddy.«
Da begann ich mich das erste Mal zu fürchten.
In meiner Wohnung angekommen, ließ ich mich erst mal aufs Sofa fallen. Morgen Abend würde ich den Zahnarzt besuchen. Und wenn ich all die Anzeichen und Anspielungen nicht vollkommen missdeutet hatte, dann wollte der Zahnarzt dort etwas ganz Bestimmtes mit mir machen. Was heißt missdeuten? Was heißt Anzeichen und Anspielungen? Hatte ich selbst nicht gerade zu ihm gesagt, dass ich mich nur für ihn aufgehoben hatte? Was hatte ich nur getan? Gisela hatte mich doch davor gewarnt, ihm falsche Hoffnungen zu machen. »Oh Gott«, stöhnte ich. Das Verlangen, auf der Stelle einen Schokoriegel zu verschlingen, war übermächtig. Doch dann dachte ich an morgen Früh, an mein Date mit dem Piraten. Alles andere musste beiseite geschoben werden. Alles andere war wurscht. Wurscht. Ich packte den Bikini aus, zwängte mich hinein und stellte mich vor den Spiegel. Sah ich lesbisch darin aus?
Vor allem sah ich wie eine Birne darin aus.
Und nachdem keine Motivationsstütze Gisela neben mir stand, wurde die Birne oben immer schmaler und unten immer breiter.
Ich versuchte es auf Zehenspitzen. Das war irgendwie besser. Auf Zehenspitzen und den Hintern nach hinten strecken, dann waren die Reiterhosen schmaler. Also, zumindest von vorne.
In dem Moment spürte ich etwas Nasses an meinem Bein und entdeckte ein dünnes Blutrinnsal, das aus der Bikinihose kam.
Natürlich. Morgen ging ich mit dem Piraten schwimmen, und tollerweise hatte ich rechtzeitig dafür meine Tage bekommen.
Plötzlich musste ich lachen. Trotzdem würde der morgige Tag der verdammt noch mal beste in meinem Leben werden!
Er musste einfach.