?Wie kommt’s??
Dass Ember einfach so nachfragt, fühlt sich irgendwie sch?n an. Die meisten Menschen sind in Gespr?chen mit mir eher befangen, als wüssten sie nicht, was sie mich fragen k?nnten und was nicht. Das führt dazu, dass sie sich mit mir nur über belanglose Dinge unterhalten. Ember ist eine der wenigen Ausnahmen: Sie gibt mir das Gefühl, dass sie sich wirklich für das interessiert, was ich zu sagen habe.
?Ich wollte immer meine eigene Kollektion unter Beaufort rausbringen, aber meine Eltern haben kategorisch ausgeschlossen, Damenmode ins Sortiment zu nehmen. Also habe ich das mit dem N?hen irgendwann aufgegeben.?
Nachdenklich sieht Ember mich an. ?Also entwirfst du gar nichts mehr??
?Doch, aber …? Ich zucke mit den Schultern. ?Nur noch für mich, nicht für Beaufort.?
?Da tut mir leid?, sagt Ruby leise neben mir, und Ember nickt zustimmend. ?Ich k?nnte jetzt einen Spruch wie ?Gib niemals auf!? raushauen, aber ich kann mir vorstellen, wie deprimierend das sein muss, immer wieder abgewiesen zu werden. Da h?tte ich irgendwann auch keine Lust mehr.?
?Ja.? Ich spüre, wie sich in meinem Inneren diese dunklen Wolken zusammenziehen, die mich jedes Mal in einen Strudel aus finsteren Gedanken rei?en, aus dem ich erst nach Stunden herausfinde. So schnell ich kann, versuche ich mich abzulenken und auf etwas anderes zu konzentrieren. ?Egal, Themawechsel! Wo, meinst du, k?nnte man ein sch?nes Kleid herbekommen für den Frühjahrsball? Ruby meinte, du als Bloggerin kennst alle Geheimtipps?, zwitschere ich munter. Ich kann selbst h?ren, wie gekünstelt es klingt.
Ember betrachtet die Puppe, bevor sie sich an mich wendet. ?Ich habe noch reichlich Stoff. Wenn du m?chtest, kann ich dir auch ein Kleid n?hen.?
Einen Moment lang verschl?gt es mir die Sprache.
Dann realisiere ich, dass ich sie unm?glich um diesen Gefallen bitten kann. Ich schüttle langsam den Kopf. ?Das ist zu viel Arbeit. Au?erdem ist die Party schon Samstag in einer Woche.?
Ember macht eine wegwerfende Handbewegung. ?Quatsch. Ich h?tte das Angebot nicht gemacht, wenn ich nicht ausreichend Zeit h?tte. Du kannst mir bestimmt einen Unterrock geben von einem deiner alten Kleider, oder??, fragt Ember. ?Wir basteln dir was Hübsches, das wird super.?
?Nimm das Angebot an, Lydia?, fordert Ruby mich auf und legt mir einen Arm um die Schulter.
Ich bin ich so überw?ltigt von der Offenheit der beiden, von ihrer Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft, dass sich meine Kehle zusammenzieht und meine Augen zu brennen beginnen. Ich blinzle hektisch und atme tief ein und wieder aus. Vielleicht liegt es auch an den Hormonen, aber in diesem Moment f?llt es mir unglaublich schwer, die Fassung zu bewahren.
?Danke?, schaffe ich schlie?lich zu sagen.
?Oh, dank mir noch nicht. Meine Arbeit hat einen Preis. Wobei dieser ganz klein ist …?, sagt Ember und blickt mit einem beinahe teuflischen L?cheln zwischen mir und Ruby hin und her.
Verwirrt sehe ich zu Ruby, die alles andere als glücklich dreinschaut.
?Ember …?, sagt sie, ihr Tonfall ernst.
?Komm schon, Ruby.? An mich gewandt fügt sie hinzu: ?Ich m?chte gern mit euch auf die Party.?
?Das ist eine tolle Idee! Oder??, frage ich an Ruby gewandt, doch diese sieht ihre Schwester nur mit grimmiger Miene an.
?Lydia würde es gut finden, wenn ich mitgehe.?
?Du hast mir bis jetzt noch nicht verraten, wer der mysteri?se Junge ist, den du auf der letzten Party kennengelernt hast?, sagt Ruby.
?Was hat er denn damit zu tun, dass ich einen sch?nen M?delsabend mit euch verbringen m?chte??, entgegnet Ember.
Ruby zieht nur eine Braue nach oben.
?Ich habe gesehen, was ihr bei der Dekorationsfirma bestellt habt. Ich m?chte unbedingt auch auf den Feenball. Wann erlebt man so eine Party schon??, f?hrt Ember fort.
Ruby atmet tief ein, h?lt die Luft ein paar Sekunden lang an und l?sst sie dann langsam entweichen. ?Wir haben beim letzten Mal Regeln vereinbart, und du hast dich nicht dran gehalten. Ich mache mir einfach nur Sorgen.?
?Ich habe weder getrunken, noch habe ich nackt auf den Tischen getanzt. Ich gebe dir also überhaupt gar keinen Grund zur Sorge.?
Ruby seufzt. Eine ganze Weile sagt sie gar nichts. Sie sieht aus, als würde sie in Gedanken eine Pro-und-kontra-Liste erstellen.
?Es gelten dieselben Regeln wie beim letzten Mal?, sagt sie schlie?lich. ?Und dieses Mal h?ltst du dich dran – abgemacht??
Embers L?cheln wird breiter.
?Abgemacht??, hakt Ruby nach.
?Liebend gern begleite ich euch zum Frühjahrsball, Ruby. Vielen Dank für die nette Einladung!?, sagt Ember triumphierend. Als Ruby nicht reagiert, atmet sie h?rbar aus. ?Abgemacht, ich halte mich an deine Regeln.?
?Okay?, sagt Ruby und nickt. ?Dann haben wir wohl ein Dreier-Date zum Frühjahrsball.?
Ember jauchzt und st??t mir den Ellenbogen in die Seite. ?Das wird so super.?
Ich hoffe, dass sie recht behalten wird.
27
Lydia
Das Kleid, das Ember gezaubert hat, ist ein Traum. Das Oberteil ist aus einem flie?enden champagnerfarbenen Stoff und hat kurze ?rmel. Direkt unterhalb meiner Brust hat sie – ?hnlich wie bei Rubys Kleid – einen Tüllrock angen?ht, auf dem lauter kleine Stoffblumen verteilt sind. Er f?llt sanft hinab und ist so geschnitten, dass er meinen Bauch so gut wie m?glich verbirgt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Ember Bescheid wei?, aber seltsamerweise habe ich kein ungutes Gefühl dabei.
?Ich glaube, wir müssen uns langsam auf den Weg machen?, sagt Ruby mit einem Blick auf die Uhr auf meinem Schreibtisch. Sie besteht aus dunklem Holz, und goldene Ornamente verzieren das schimmernde Ziffernblatt. Mein Vater hat sie mir zu meinem zehnten Geburtstag geschenkt. Keine Ahnung, wieso ich sie noch dort stehen habe. Sie ist nicht mal besonders sch?n, aber ich kann mich nicht davon trennen.
?Lydia??, erklingt Embers Stimme dicht neben mir und rei?t mich aus meinen Gedanken.
?Ja??