Wenig sp?ter verabschiede ich mich von Lydia, und James bringt mich nach Hause. Das hei?t, Percy bringt mich nach Hause, aber James steigt mit in den Rolls-Royce. Wir sind still, w?hrend wir das Grundstück Richtung Gormsey verlassen.
Auch wenn ich es nicht will: Es fühlt sich an, als l?ge die Begegnung mit Mortimer Beaufort wie ein Schatten über uns. Ich habe den Mann dreimal in meinem Leben gesehen, und jedes Mal hat er im Anschluss versucht, einen Keil zwischen James und mich zu treiben. Ich hoffe so sehr, dass James das nicht noch einmal zulassen wird. Dass das, was gerade zwischen uns entsteht, st?rker ist als der Einfluss seines Vaters.
?Woran denkst du??, fragt James pl?tzlich, seine Stimme tief und warm.
Ich sehe auf und begegne seinem türkisblauen Blick. Ein Kribbeln macht sich in meinem Bauch breit.
Ich hole tief Luft. ?Daran, dass ich gern mehr solcher Wochenenden mit dir h?tte.?
James’ Blick gleitet zurück zu meinen Augen und wieder runter, als wüsste er nicht, wie er sich dagegen wehren soll.
?Gleichzeitig frage ich mich …? Ich halte inne.
James wartet und sieht mich weiter an. ?Was fragst du dich??, hakt er nach einer Weile nach.
?Ich frage mich, wie das weitergehen soll. Für dich?, flüstere ich. ?Mit dir und deinem Dad, meine ich. Dass er dir vorschreibt, wie du dein Leben zu führen hast, und du dich von ihm in eine Ecke dr?ngen l?sst, in der du eigentlich nicht sein m?chtest??
James senkt den Blick und starrt den Fu?raum des Rolls-Royce an, als g?be es dort irgendetwas Spannendes zu entdecken. Er holt tief Luft. Noch einmal. Schlie?lich schüttelt er langsam den Kopf.
?Es geht nicht nur um ihn?, f?ngt er nach einer Weile mit kratziger Stimme an. ?An Beaufort h?ngt alles, Ruby. Das ist nicht das Lebenswerk meines Vaters, das ich da übernehmen werde.? Ich schlucke schwer, als er wieder aufblickt und mich direkt ansieht. ?Ich … ich will meine Mum nicht entt?uschen.?
Ich atme scharf ein.
Darüber habe ich nie nachgedacht. Natürlich hat sich mit dem Tod seiner Mutter einiges ge?ndert. Ich habe die ganze Zeit geglaubt, alles würde gut werden, solange James seine Tr?ume verfolgt und nicht die seines Vaters. Doch jetzt realisiere ich, dass es darum gar nicht mehr geht. James ist nicht nur über seinen Vater an Beaufort gebunden. In erster Linie ist es jetzt seine Mutter, die ihn dort h?lt.
?Du wirst deine Mum nicht entt?uschen?, wispere ich.
?Was, wenn doch? Was, wenn ich das nicht hinbekomme?? Ich erkenne in seinen Augen eine Emotion, die ich noch nie zuvor dort gesehen habe: Angst. Sie flackert in seinem Blick und scheint mit einem Mal die ganze Limousine zu erfüllen.
?Ich bin bei dir?, sage ich. Es sind nur vier kleine Worte, aber in dieser Sekunde lege ich alles, was ich geben kann, in diese paar Silben.
James sieht mich lange an. Er scheint zu verstehen, was ich noch alles mit diesen Worten sagen m?chte. Nach und nach verschwindet die blanke Panik aus seinem Blick und wird durch Zuversicht und diese W?rme ersetzt, mit der er mich den ganzen Abend über angesehen hat.
Im n?chsten Moment greift James nach meiner Hand. Er verschr?nkt seine Finger mit meinen und drückt sanft zu.
?Und ich bin bei dir. Egal, was passiert.?
Ich lasse mich zurücksinken und lehne meinen Kopf gegen seine Schulter.
Mein n?chster Atemzug gelingt mir ein wenig leichter.
Wir werden das schaffen.
James
Es ist nach halb zwei, als ein lautes Knallen mich hochschrecken l?sst. Ich springe so schnell auf, dass der E-Reader von meinem Bett rutscht und auf dem Boden landet, aber das ist mir egal. Wie ein Verrückter renne ich über den Flur zu Lydias Zimmer. Doch als ich die Tür aufrei?e, sitzt sie blo? in ihrem Bett und reibt sich die müden Augen.
?Alles okay??, frage ich.
Sie nickt. ?Was war das??
?Dad vermutlich?, gebe ich zurück und spüre, wie mein Puls an Geschwindigkeit zulegt.
Ich will nicht runtergehen.
Ich m?chte nicht wissen, was er jetzt schon wieder kaputtgemacht hat.
Ich will mir keine Sorgen um ihn machen, verdammt.
Obwohl alles in mir schreit, dass ich gef?lligst wieder in mein Zimmer gehen soll, mache ich mich auf den Weg nach unten. Wieder klirrt etwas. Was auch immer Dad tut, er tut es im Esszimmer.
Leise schleiche ich durch den Flur. Je n?her ich komme, desto deutlicher kann ich ihn h?ren. Er murmelt etwas, und es klingt ver?rgert, als würde er mit irgendwem sprechen. Mary oder Percy vielleicht?
Kurz vor dem Esszimmer mache ich einen leichten Bogen und drücke mich schlie?lich links neben der Tür an die Wand.
?Miststück?, lallt mein Vater. ?Das h?ttest du nicht tun dürfen.?
Stirnrunzelnd rücke ich ein Stück n?her. Mit wem zum Henker redet er?
?Ich werde dir nie vergeben. Jetzt bin ich mit den beiden allein und mache alles falsch, und es ist verdammt noch mal deine Schuld!? Die letzten beiden W?rter brüllt er. Ich lehne mich aus meinem Versteck und sehe gerade noch, wie er eine Karaffe voll Whiskey gegen das Familienportrait über dem Esstisch feuert. Ich keuche trocken, als die Karaffe laut zerschellt, das Klirren ein Echo in meinen Ohren. Die braune Flüssigkeit l?uft an Mum herab und über Lydia und mich. Die Farben sehen aus, als würden sie sich aufl?sen. Mums Gesicht zerl?uft wie eine schmelzende Wachsfigur, die sich nach und nach in ein Monster verwandelt. Eine groteske Fratze, die von oben auf meinen Vater herabblickt und ihn verh?hnt.
Die Wut auf ihn, die immer in mir schlummert, erwacht in diesem Moment zu neuem Leben, und durch meine Adern l?uft eine Hitze, die nur er in mir ausl?sen kann. Ich balle die H?nde zu F?usten und will gerade ins Zimmer gehen und ihn zur Rede stellen, da st??t er auf einmal ein anderes Ger?usch aus.
Von hinten kann ich seine Schultern beben sehen. Er schnappt mehrmals nach Luft, dann geben pl?tzlich seine Knie nach, und er sinkt zu Boden. Mitten in die Scherben. Er schl?gt sich die H?nde vors Gesicht, und dann h?re ich es erneut.