So schnell ich kann, schiebe ich mich nach drau?en, wo Hank bereits mit dem Fotostreifen in der Hand auf uns wartet.
?Eine merkwürdige Pose, aber immerhin scheint ihr das mit dem Ausl?ser hinbekommen zu haben?, sagt er und drückt mir die vier kleinen Fotos in die Hand.
Nein, ich habe mir die Hitze eindeutig nicht eingebildet.
Auf dem Foto habe ich den Kopf zu James gewandt, w?hrend er direkt in die Kamera sieht. Und sein Blick …
Ich schlucke trocken.
Ich kenne diesen Blick. Und auch diesen Zug um seinen Mund.
James muss es auch gefühlt haben. Da bin ich mir in dieser Sekunde absolut sicher.
?Sehr sch?n?, kr?chze ich und will Hank die Bilder zurückgeben, doch bevor ich das tun kann, nimmt James sie mir aus der Hand. Ohne sie überhaupt anzusehen, schiebt er sie in seine Manteltasche.
?Wo müssen wir unterschreiben??, fragt er in demselben gesch?ftlichen Tonfall, den er auch benutzt hat, als wir damals bei Beaufort waren.
Hank führt uns zurück zum Tresen, wo ich drei Formulare unterzeichne und ein kleines Handbuch für die Bedienung und das Nachfüllen der Bilder bekomme. Anschlie?end hieven wir die Teile der Box zu dritt in den Kofferraum meines Autos. Ich bin froh, wieder drau?en an der frischen Luft zu sein. Sie ist mir und meinen hei?en Wangen eine willkommene Abkühlung.
Auf der Rückfahrt schalte ich das Radio wieder an, noch ein bisschen lauter als zuvor. Wieso in aller Welt habe ich geglaubt, dass es eine gute Idee ist, James zu bitten, mit mir hierherzukommen? Es h?tte mir klar sein müssen, wie schwer es wird, ihm über einen so langen Zeitraum so nah zu sein.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass James seinen Mantel aufknüpft und anschlie?end den Schal von seinem Hals wickelt.
?Wenn dir zu warm ist, kann ich die Lüftung ein bisschen k?lter einstellen?, bringe ich mühsam hervor.
?Ruby.? Die Art, wie er meinen Namen flüstert, ist mir so vertraut.
Ich umklammere das Lenkrad fest, w?hrend ich mit aller Kraft versuche, mich auf die Stra?e zu konzentrieren. Die Luft zwischen uns wird immer aufgeladener, aber ich versuche, das mit aller Kraft zu verdr?ngen.
Die Ampel vor uns schaltet auf Rot, und ich bremse langsam und lasse das Auto bis zur Haltelinie rollen. Dann riskiere ich einen Blick in seine Richtung. James sieht mich an, und in seinen Augen sehe ich unz?hlige Gefühle, die den Impuls in mir ausl?sen, nach ihm zu greifen, ihn zu umarmen und festzuhalten.
?Ich wollte nur sagen, dass es …?
?Bitte nicht?, unterbreche ich ihn flehend und schüttle den Kopf.
Er bei?t die Z?hne so fest zusammen, dass ein Muskel in seinem Kiefer zu zucken beginnt. Wir sehen uns einen Moment lang an, und zwischen uns sind so viele unausgesprochene Worte.
Aber ich kann jetzt nicht mit ihm reden. Es geht einfach nicht. Nicht, wenn ich das Gefühl habe, jeden Moment einzuknicken.
Im n?chsten Moment wendet James den Blick ab und sieht wieder nach vorn. ?Es ist Grün.?
Ich trete aufs Gaspedal. Der Weg bis zur Schule kam mir noch nie so lang vor.
17
Ruby
?Ich glaube, ich h?tte es gerne ein bisschen mehr in eine minzigere Richtung?, sagt Ember nachdenklich.
Ich ziehe den Cursor auf dem Farbfeld weiter nach links oben, bis das Moosgrün heller wird und in eine bl?ulichere Richtung geht. ?So??
Meine Schwester gibt einen zustimmenden Laut von sich. Ich speichere die Farbe ab und gehe in Wordpress auf die Vorschauansicht, damit wir unser Werk betrachten k?nnen.
Embers Blog Bellbird hat ein Rebranding bekommen, mit einem neuen Logo, einem moderneren Wordpress-Theme und einer frischen Farbpalette. Ganz oben wird der neueste Beitrag angezeigt – ein Guide über ethische korrekte Plus-Size-Mode –, direkt darunter befinden sich in drei kleineren Fenstern Thumbnails der beliebtesten Beitr?ge. Auf der rechten Seite hat sie die Links zu ihren Social-Media-Profilen eingefügt sowie ein Bild, das ich im letzten Sommer von ihr gemacht habe. Darauf steht sie in einem Feld mit Blumen und tr?gt ein sommerliches Maxikleid mit Blumenmuster und einem tiefen Ausschnitt. Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ein Grashüpfer auf sie gesprungen ist und ich sie dabei fotografiert habe, wie sie versucht hat, ihn loszuwerden – es war zum Schreien. Leider hat sie das Bild, auf dem sie kreischt, nicht als Anzeigebild genommen, sondern eines, auf dem sie herzlich lacht und sich eine Haarstr?hne aus dem Gesicht streicht. Direkt unter dem Bild steht:
Hi, ich bin Ember! Plus-Size-Fashion-Bloggerin, Liebhaberin von Worten und Kuchen und inspiriert von allem, was sch?n ist. Viel Spa? auf meinem Blog!
?Es sieht super aus?, sage ich ehrfürchtig. ?Richtig professionell.?
?Das sagst du jedes Mal?, erwidert Ember und scannt die Seite mit zusammengekniffenen Augen. Was ihren Blog angeht, ist sie so perfektionistisch wie ich mit meinem Bullet Journal.
?Ich wei?, aber es ist ja die Wahrheit.? Ich browse durch ihre letzten Outfit-Posts. Obwohl ich es war, die die Bilder gemacht hat, k?nnte ich sie mir immer wieder anschauen. Ember sieht wundersch?n auf ihnen aus. Zum wiederholten Mal wünsche ich mir, Mum und Dad würden dem Thema Social Media nicht ganz so kritisch gegenüberstehen. Sie haben Bedenken, Ember k?nnte zu viel Privates preisgeben, dabei geht sie Bellbird beeindruckend professionell an. Inzwischen hat sie sogar schon ein paar Marken, mit denen sie regelm??ig zusammenarbeitet und die ihr Sachen zuschicken.
?Ich habe übrigens ein Kleid gesehen, das wie für dich gemacht ist?, sagt meine Schwester unvermittelt. ?Du brauchtest doch noch eins für die Gala??
Ich nicke. ?Zeig her.?