?James!?, ruft sie über die Musik hinweg und l?chelt mich an. Ihre honigblonden Haare sind gelockt und umrahmen ihr vom Tanzen leicht ger?tetes Gesicht. So schnell ich kann, schiebe ich ihren Arm von mir und verlasse die Tanzfl?che, um zu unserer Lounge zurückzugehen. Als ich dort ankomme, fühle ich mich seltsam au?er Atem. Ich bestelle mir ein Wasser und lasse mich auf das Sofa fallen.
Elaines Anblick hat sich wie ein Faustschlag in meinen Magen angefühlt. Die Erinnerungen an den Abend in Cyrils Pool, die ich ohnehin schon vierundzwanzig Stunden am Tag mit mir herumtrage, waren von einem Moment auf den anderen wieder so pr?sent, dass mich eine Woge von übelkeit überkommen hat.
Doch ich habe die Rechnung ohne Elaine gemacht. Nach einer Weile kommt sie zu mir und setzt sich mit überschlagenen Beinen neben mich.
?Was war das denn bitte für eine Begrü?ung??, fragt sie und f?hrt sich durchs Haar. Ihre Augen funkeln amüsiert. Sie sitzt so dicht neben mir, dass wir uns fast berühren. Sie rutscht noch ein Stück an mich heran. Mein ganzer K?rper erstarrt, als der Geruch ihres Parfums in meine Nase dringt.
?Ich wollte dir nur sagen, wie leid es mir tut, was mit deiner Mum geschehen ist. Wenn du mal reden m?chtest oder so – ich habe immer ein offenes Ohr für dich.? Sie legt ihre Hand auf meinem Bein ab und f?hrt damit langsam über den Stoff meiner Hose nach oben.
?Elaine, h?r auf?, sage ich mit fester Stimme und schiebe ihre Hand weg. Gleichzeitig rutsche ich zur Seite und sehe sie ernst an.
?Habe ich etwas falsch gemacht??, fragt sie überrascht.
Ich schüttle den Kopf. ?Nein. Ich bin derjenige, der alles falsch gemacht hat?, gebe ich zurück.
Elaine zieht eine Braue nach oben. ?Was ist denn mit dir los??
Ich zucke mit den Schultern, erwidere aber nichts.
Einen Moment lang sieht sie mich nur an, dann schüttelt sie den Kopf. ?Du warst auch schon mal besser drauf.?
?Tut mir leid?, sage ich. ?Aber ich kann das nicht mehr.?
Sie rutscht ein Stück von mir weg. ?Schade?, sagt sie und steht dann auf. ?Es hat echt immer Spa? mit dir gemacht.?
Sie verharrt noch kurz an Ort und Stelle, als würde sie darauf warten, dass ich sie zurückhalte. Als ich mich nicht bewege und starr geradeaus blicke, geht sie ohne ein weiteres Wort zurück auf die Tanzfl?che.
Ich lasse mich nach hinten sinken und starre an die Decke des Clubs. Zum ersten Mal f?llt mir auf, dass sich dort kleine Lichter befinden, die wohl Sterne darstellen sollen. Wie von selbst greife ich in meine Hosentasche, um mein Portemonnaie rauszuholen. Fahrig klappe ich es auf und greife nach dem Zettel, der hinter meinem Personalausweis versteckt ist. In den letzten Wochen habe ich es vermieden, mir die Liste anzusehen, aus Angst, ich würde mich danach noch fertiger fühlen als vorher. Ich halte den Zettel hoch, sodass die kleinen Lichter von der Decke beinahe hindurchscheinen. Punkt für Punkt lese ich, was Ruby mit mir gemeinsam aufgeschrieben hat. Ich schlucke schwer und merke, wie kratzig meine Kehle pl?tzlich ist.
In meinem Leben gab es noch nie jemanden, der sich so für mich interessiert hat wie Ruby. Ich hatte noch nie jemanden, an den ich morgens als Erstes denke und dessen Gesicht ich vor Augen habe, wenn ich schlafen gehe. Und es gab noch nie jemanden, der meine Tr?ume hat wahr werden lassen wollen.
Alles, was geschehen ist, hat mich ver?ndert. Ich bin nicht mehr dieselbe Person, die ich vorher gewesen bin. Aber wenn es eine Sache gibt, für die ich k?mpfen m?chte – dann ist das Ruby.
Mit diesem Gedanken falte ich die Liste wieder zusammen und halte sie fest mit der Hand umschlossen, als ich den Club verlasse.
15
Ruby
?Auf Ruby!?, ruft Dad laut.
?Und Lin?, setze ich hinterher und l?chle meine Freundin breit an.
?Und Lin!?, wiederholen Mum, Dad und Ember im Chor.
Es war Dads Idee, eine kleine Oxford-Party bei uns zu Hause zu veranstalten und gemeinsam mit Lin auf unseren Erfolg anzusto?en. Als Mum und ich es ihm gesagt haben, hat er uns zun?chst kein Wort geglaubt und schlie?lich verlangt, dass wir ihm die Mail zeigen. W?hrend er sie las, hat er immer wieder ?Nein? gemurmelt, nur um mich dann so fest in den Arm zu nehmen, dass mir auch vier Stunden sp?ter meine Rippen noch ein bisschen wehtun.
?Ich kann nicht glauben, dass wir genommen wurden?, wispere ich Lin über den Rand meines Sektglases zu.
?Ich auch nicht.?
Der Gedanke, auch die kommenden drei Jahre mit meiner Freundin verbringen zu k?nnen, l?sst einen Haufen aufgeregter Schmetterlinge in meinem Bauch frei. Ich freue mich so sehr, dass es sich unwirklich anfühlt.
?Wir müssen uns jetzt noch mehr ins Zeug h?ngen, Lin?, sage ich.
?K?nnt ihr euch nicht wenigstens mal einen Abend lang einfach nur freuen??, fragt Ember.
Mum und Dad lachen, w?hrend Lin und ich ein reumütiges L?cheln austauschen. ?Du hast recht?, sage ich. ?Aber es kann noch so viel schiefgehen!?, fragt Ember.
Lin stellt ihr Sektglas auf den Wohnzimmertisch und nimmt sich einen Nacho, das einzige Fingerfood, das wir auf die Schnelle hervorzaubern konnten. ?Wir müssen alle unsere F?cher mit einem A bestehen, nur dann bekommen wir die feste Zusage.?
?Und dann muss ich auch noch für eines der Stipendien ausgew?hlt werden?, setze ich leise hinterher und versuche die Panik, die sich bei dem Gedanken in mir hochk?mpfen will, zurückzudr?ngen. Die Studienberaterin in Maxton Hall hat mir mehr als einmal versichert, dass meine Chancen dafür überdurchschnittlich gut sind und sie sich an meiner Stelle überhaupt keine Sorgen machen würde. Doch das ist leichter gesagt als getan.
Lins Wangen werden bleich, und sie legt den angebissenen Nacho neben ihrem Glas ab. ?Was, wenn ich in irgendeinem Fach doch noch eine schlechtere Note reingedrückt bekomme? Meine Gro?mutter wird ihr Angebot, mich beim Studium zu unterstützen, bestimmt zurücknehmen.?
?M?dels, ihr sollt feiern und euch nicht zu Tode sorgen!? Mum sitzt gegenüber von Lin und mir auf unserem geblümten Sessel und sieht uns kopfschüttelnd an.