?Ruby?, wispert er.
Ich ziehe meine Hand zurück, als h?tte ich mich verbrannt. Dann sehe ich ihn erwartungsvoll an, damit er seine entweder wegnimmt oder die Tür aufmacht. Er z?gert einen Moment, dreht schlie?lich aber den Knauf.
Ich atme auf. ?Bis dann, Lin?, sage ich gehetzt und verlasse den Raum.
Ich gehe so schnell zum Schulbus wie nie zuvor, w?hrend das Echo seiner Stimme in meinem Kopf und durch meinen gesamten K?rper hallt.
13
Lydia
?Unglaublich?, st?hnt James frustriert. Er schiebt ruckartig den Laptop von sich und dreht sich auf dem Schreibtischstuhl zu mir um. ?Mir haben schon wieder zwei Leute abgesagt.?
Von der Couch aus betrachte ich meinen Bruder. Als er mir von seinem Plan, wieder beim Veranstaltungskomitee mitzumachen, erz?hlt hat, war ich zun?chst überrascht. Doch je l?nger ich darüber nachdenke, desto besser finde ich seine Entscheidung.
Ruby liebt die Arbeit in diesem Team. Ihr zu zeigen, dass er ihre Leidenschaft nicht nur versteht, sondern auch teilt, ist ein guter erster Schritt. Au?erdem hat James im letzten Term gemerkt, wie viel Spa? es ihm macht, diese Partys zu organisieren – auch wenn er das niemals laut zugeben würde.
?Du musst hartn?ckiger sein. Appelliere an ihr Gewissen, nicht an ihren Geldbeutel. Dann kommen sie schon zur Gala?, sage ich und nippe an der Tasse Tee, die ich mit meinen kalten Fingern umklammert halte. Ich glaube, unsere Haush?lterin wei? von meiner Schwangerschaft. Sie hat die Kanne ohne Aufforderung vor mir abgestellt und mir mit verschw?rerischem Blick zugeflüstert, dass er mir sicher guttun werde.
James nickt abwesend und zieht den Laptop wieder ein Stück zu sich heran. Im selben Moment kündigt ein leises Ping eine neue E-Mail an. W?hrend James sie mit zusammengekniffenen Augen liest, greife ich nach einem Keks. Beim Abbei?en fallen ein paar Krümel auf die Couch, aber James ist zu besch?ftigt damit, eine Antwort zu tippen, als dass er es mitbekommen würde. Zum Glück – er hasst Krümel n?mlich sehr.
?Hast du schon mit Ruby gesprochen??, frage ich nach einer Weile.
Das Ger?usch, das das Senden einer Nachricht best?tigt, ert?nt, und James dreht sich wieder zu mir herum. ?Nein.? Er reibt sich mit der Hand übers Gesicht. ?Sie konnte mich diese Woche nicht mal richtig ansehen.?
?Du kannst es nicht erzwingen, das ist klar. Aber irgendwann müsst ihr miteinander sprechen?, sage ich sanft. ?Je mehr Zeit vergeht, desto gr??er wird die Kluft zwischen euch. Glaub mir.?
Mein Bruder wirft mir einen langen Blick zu. Offensichtlich hat er eins und eins zusammengez?hlt. ?Also hast du noch immer nicht mit Sutton gesprochen??
Ich zucke mit den Schultern. ?Was gibt es zu besprechen? Wir wissen beide, dass es besser so ist.?
?Ja, aber er wei? nichts von der Schwangerschaft. Das ?ndert alles.?
?Er will nichts mehr mit mir zu tun haben.? Ich schiebe den restlichen Cookie in meinen Mund und kaue gem?chlich. ?Das hat er mir mehr als einmal gesagt. Ich bin erstens zu stolz, mit ihm zu reden.?
?Und zweitens??
Ich erwidere James’ Blick. ?Zweitens habe ich Angst davor, es ihm zu sagen. Ich will nicht wissen, wie er reagiert. Ich muss damit jetzt erst mal selbst klarkommen, und dann kann ich mich damit besch?ftigen, was ich tue, wenn seine Reaktion nicht so ausf?llt, wie ich es mir gewünscht habe.?
?Lydia …? James’ Handy klingelt. Er macht keine Anstalten ranzugehen, sondern sieht mich weiterhin intensiv an.
?Geh ran!?, sage ich eindringlich. ?Das ist bestimmt einer der Sponsoren.?
Er z?gert noch einen Moment. Dann nimmt er das Handy und wirft einen Blick aufs Display. ?Owen?, sagt er laut, nachdem er abgehoben hat. ?Wie sch?n, von dir zu h?ren.?
Ich t?usche ein lautloses Würgen vor. Owen Murray ist Vorstandsvorsitzender bei einem Telekommunikationskonzern und ein enger Freund von Dad. Weder James noch ich k?nnen ihn leiden, und ich bin mir ziemlich sicher, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.
?Den Umst?nden entsprechend, ja?, sagt James. Mit einem Mal ist sein Tonfall fest und kühl. ?Nein, ich habe nicht im Namen von Beaufort angerufen, sondern im Namen des Maxton Hall Colleges. Anfang Februar feiern wir eine Charity-Gala für das Pemwick-Familienzentrum, und wir suchen noch nach Sponsoren.?
Ich kann leises Murmeln am anderen Ende der Leitung h?ren.
?Natürlich, ich schicke dir die Details. Das w?re fantastisch, Owen, danke dir.?
James beendet das Gespr?ch und tippt etwas in sein Handy. Dann wendet er sich wieder an mich. ?Solange du es Sutton nicht sagst, wirst du nicht wissen, wie er reagiert.?
?Also r?tst du mir, es ihm zu sagen.?
Er nickt. ?Ja. Und ich finde auch, er hat ein Recht darauf, es zu erfahren.?
Ich starre in meine Tasse. Durch den Rest der pinkfarbenen Flüssigkeit versuche ich, im Teesatz ein Muster zu erkennen.
Keine Anrufe mehr. Das hatten wir abgemacht.
Selbst wenn er beschlie?t, dass er ab sofort für mich und die Babys da sein wird – was bedeutet das dann? Nur, dass er sich schuldig fühlt, mehr nicht. Dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher, als mit Graham zusammen zu sein, weil er es will. Aus freien Stücken und nicht, weil er durch eine Schwangerschaft dazu gezwungen wird.
James’ Handy klingelt erneut. Er h?lt mir einen Finger hin, um anzudeuten, dass unser Gespr?ch noch nicht zu Ende ist, dann hebt er ab.
Ich trinke den Rest meines Tees und stelle die leere Tasse auf dem Tisch ab. Danach nehme ich mein eigenes Handy und ?ffne meine Nachrichten. Grahams Nummer ist noch immer eingespeichert. Ich habe es einfach nicht über mich gebracht, sie zu l?schen. Allein, sie dort zu haben und zu wissen, dass ich ihm schreiben k?nnte, wenn ich wollte, genügt mir.
Ich scrolle unseren Verlauf nach oben. Darin befinden sich nicht nur allt?gliche Nachrichten und Fotos, sondern auch welche, in denen wir uns unsere tiefsten ?ngste und Sorgen anvertraut haben. Jeder normale Mensch h?tte diese Nachrichten gel?scht, statt sie zu behalten und wie ein altes Fotoalbum immer wieder durchzubl?ttern.