?Hey.?
Ich rei?e die Augen auf.
James sitzt auf der anderen Seite des Raums. Auf dem Stuhl, auf dem er im letzten Term immer gesessen hat, als er von Rektor Lexington gezwungen wurde, beim Veranstaltungskomitee mitzumachen.
Er sieht ver?ndert aus. Unter seinen Augen sind dunkle Ringe, und auf seinem Kiefer kann ich einen leichten Schatten erkennen, der verr?t, dass er sich nicht rasiert hat. Sein Haar ist zerzauster als sonst, wahrscheinlich, weil es gewachsen ist.
Ich frage mich, ob ich in seinen Augen auch ver?ndert aussehe.
Die Sekunden vergehen, und keiner von uns bewegt sich. Ich wei? nicht, wie ich mich in seiner Gegenwart verhalten soll. Auf dem Gang zwischen den Schulstunden habe ich ihn einfach ignoriert, aber jetzt sind wir die Einzigen in diesem Raum. ?Was machst du hier??
Meine Stimme klingt heiser. Dabei will ich auf keinen Fall den Eindruck vermitteln, er würde immer noch eine Wirkung auf mich ausüben. Im Gegenteil, er soll denken, dass es mir überhaupt nichts ausmacht, mit ihm in einem Raum zu sein.
?Ich lese.? Er h?lt ein Buch hoch – nein, einen Manga. Stirnrunzelnd betrachte ich den Schriftzug, obwohl ich das Bild auf dem Cover bereits erkannt habe.
James liest Death Note. Band drei.
Ich habe ihm einmal gesagt, dass das meine Lieblingsreihe ist.
Verwirrt sehe ich ihn an.
?Wir haben gleich unser Teammeeting. Wenn du dir also einen neuen Ort zum Lesen suchen würdest …? Ich sto?e mich von der Tür ab und gehe zu meinem Platz, als würde mein Puls gerade nicht laut in meinen Ohren pochen.
Ich hole langsam meine Sachen heraus und breite sie auf dem Tisch aus, dann gehe ich zum Whiteboard und schreibe das Datum in die obere rechte Ecke. Ich wünschte, es g?be sonst noch irgendetwas für mich zu tun, aber Lin hat sowohl den Laptop als auch unsere Notizen für die Tagesordnung in ihrer Tasche. Also setze ich mich und tue so, als würde ich einen Eintrag in meinem Bullet Journal konzentriert lesen.
Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie James den Manga vor sich auf dem Tisch ablegt. Seine Bewegungen sind langsam. Fast kommt es mir vor, als h?tte er Angst, mich zu verschrecken. Ich spüre seine Augen auf mir und halte automatisch die Luft an.
?Ich m?chte in diesem Term wieder an den Meetings des Veranstaltungskomitees teilnehmen.?
Ich erstarre. Ohne von meinem Planer aufzusehen, frage ich: ?Was??
?Wenn das für dich und Lin in Ordnung geht, lasse ich es von Lexington abnicken?, f?hrt James fort.
Ungl?ubig sehe ich auf. ?Das kann nicht dein Ernst sein.?
James erwidert ruhig meinen Blick. Jetzt wei? ich, was mir so anders an ihm vorkommt. Obwohl er müde wirkt, ist da nicht mehr diese Hoffnungslosigkeit in seinen Augen, die ich an Silvester gesehen habe. An ihre Stelle ist eine Ruhe getreten, die mich in dieser Sekunde total aufkratzt. Wenn es ihm schlecht geht, kann ich stark sein. Wenn er ruhig ist, macht es mich nerv?s. Ist das das, was alle mit ?sich erg?nzen? meinen? Oder bringen wir uns gegenseitig einfach aus dem Gleichgewicht?
?Die Arbeit hier hat mir Spa? gemacht, auch wenn ich das anfangs nicht erwartet h?tte. Ich m?chte mich weiterhin einbringen.?
Ich kann nicht aufh?ren, ihn anzustarren. ?Ich glaube das einfach nicht.?
?Du hast selbst gesagt, dass mir das Organisieren liegt und dass ich im Team fehlen werde. Au?erdem haben wir einen neuen Trainingsplan bekommen. Lacrosse und die Meetings fallen nur noch einmal in der Woche zusammen. Für Coach Freeman geht das klar.?
Ich nehme meinen Rucksack vom Boden und beginne, darin zu wühlen, nur um James nicht weiter ansehen zu müssen. Ich habe keine Ahnung, was das zu bedeuten hat.
Ich bin nicht bl?d – James ist nicht hier, weil er seine Liebe für Maxton-Hall-Events wiederentdeckt hat. Er ist garantiert meinetwegen hier. Allerdings hat er auch recht mit dem, was er sagt. Wenn ich an den letzten Term denke und daran, wie er sich für die Halloween-Party ins Zeug gelegt hat, muss ich zugeben, dass das Team durch James’ Anwesenheit definitiv keine Nachteile h?tte. Im Gegenteil, die Party war auch wegen seiner Ideen und seiner harten Arbeit ein voller Erfolg.
Wenn ich ihn jetzt wegschicke, muss ich das für den Rest des Schuljahres mit meinem Gewissen vereinbaren, und zwar immer dann, wenn wir eine helfende Hand oder einen denkenden Kopf zu wenig haben. Als Leiterin des Teams habe ich einen klaren Auftrag – mal ganz abgesehen davon, dass ich es auch vor Lexington rechtfertigen muss, warum ich James abgewiesen habe.
?Die anderen müssen darüber abstimmen?, sage ich schlie?lich.
?Okay.?
Ich schlucke schwer. Auch wenn James wieder im Team mitmachen sollte, bedeutet das nicht, dass ich meine Worte von Silvester nicht ernst gemeint habe. Privates und Schulisches voneinander zu trennen war schon immer mein Spezialgebiet. Und auch wenn ich in den letzten Monaten einige Grenzen habe verschwimmen lassen, wird mir das in Zukunft nicht noch mal passieren.
?Ich werde dagegen stimmen?, fahre ich fort und sehe ihn mit festem Blick an.
Er stützt die Arme auf den Tisch und erwidert meinen Blick entschlossen. ?Ich wei?.?
Es dauert keine fünf Minuten, und die anderen haben dafür gestimmt, dass James als altes-neues Teammitglied wieder aufgenommen wird. W?hrenddessen sitze ich mit hei?en Wangen vorn und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich die Vorstellung aufwühlt, von nun an drei Tage in der Woche mit ihm in einem Raum zu verbringen.
Lin verteilt die Handouts und beginnt ohne Umschweife mit dem ersten Punkt.