Save You (Maxton Hall, #2)

Ein Schauer geht über meinen K?rper. Der Moment scheint wie eingefroren, und ich wage es nicht, mich zu bewegen, aus Angst, die Fassung zu verlieren. Doch pl?tzlich rei?t Graham den Blick von mir und sieht stattdessen Cyril an. Den Ausdruck, der dann auf sein Gesicht tritt, habe ich noch nie zuvor an ihm gesehen. Es ist eine Mischung aus Erleichterung und K?lte, die ich nicht verstehe und nicht einordnen kann.

?Kommt jetzt?, sagt James, der zwischen mir und Graham hin-und hergeschaut hat. Er nickt in Richtung des Flurs, in dem er und die anderen gleich Unterricht haben. Die Jungs heben die Hand zum Abschied, dann gehen sie.

Jetzt stehe ich allein mit Graham im Flur. Er bewegt die Bl?tter auf seinem Arm hin und her, als würde er sie ordnen wollen, dabei k?nnte der Stapel nicht akkurater sein. Unsere Blicke treffen sich erneut.

?Lydia …?, sagt er heiser und klingt dabei so traurig, dass es mir die Kehle zuschnürt.

Ich schüttle den Kopf. ?Nicht.?

Dann drehe ich mich um, gehe ins Klassenzimmer und setze mich auf meinen Platz. Ich starre die gesamten neunzig Minuten auf den gemaserten Holztisch vor mir, um blo? nicht nach vorn sehen zu müssen.

James

Der Schultag will und will nicht enden. Würde ich mir nicht Sorgen um Lydia machen, w?re ich l?ngst verschwunden. Der Unterricht vergeht im Schneckentempo, und das, was die Lehrer vorn erz?hlen, k?nnte mir nicht gleichgültiger sein. In den Pausen bekundet mir ein Mitschüler nach dem anderen sein Mitleid, was sicherlich nett gemeint ist, mir aber irgendwann so auf den Sack geht, dass ich dem armen Roger Cree sage, er soll seine Fresse halten und mich in Ruhe lassen. Danach spricht sich rum, dass man mir erst mal besser nicht zu nahe kommt.

Der Tag erreicht seinen Tiefpunkt allerdings zu Beginn des ersten Blocks, als ich Ruby auf dem Flur begegne. Wir erstarren beide – sie auf der einen, ich auf der anderen Seite – und sehen uns an.

Ich hasse dich dafür. Aber ich liebe dich auch, und das macht das Ganze so viel schwerer, erinnere ich mich an ihre Worte.

Sie ist die Erste, die den Blick abwendet. Ohne ein Wort zu sagen, geht sie an mir vorbei und verschwindet in ihrem Klassenzimmer. Die gesamte Begegnung dauert h?chstens zehn Sekunden, aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit.

Von da an kann ich nur noch an Ruby denken und an das, was sie mir an Silvester gesagt hat.

Sie liebt mich.

Sie liebt mich, verdammt.

Es fühlt sich an, als würde eine Wunde in meiner Brust klaffen, die sich einfach nicht schlie?en will. Ich m?chte ihren Entschluss respektieren, aber sie zu sehen und zu wissen, dass ich sie verloren habe, macht mich einfach nur fertig.

Nach Schulschluss kann ich gar nicht schnell genug aus dem Geb?ude verschwinden. Mit in den Taschen vergrabenen H?nden eile ich nach drau?en, den Blick starr geradeaus gerichtet.

Percy ?ffnet mir die Autotür, und ich murmle ein ?Danke?, als ich einsteige.

Lydia ist schon da, und sie sieht genauso aus, wie ich mich fühle.

Ich lasse mich zurücksinken, schlie?e die Augen und lehne den Kopf gegen die Rückbank.

?Das war anstrengend, oder??, h?re ich Lydia leise sagen.

Ich hasse die Vorsicht in ihrer Stimme. Als h?tte sie Angst davor, mich überhaupt anzusprechen. Ich wei?, dass es meine eigene Schuld ist, doch gleichzeitig ist mir bewusst, wie falsch es ist, dass sich meine eigene Schwester nicht l?nger traut, mit mir zu reden. Ich be?uge die Minibar. Ich habe lange ohne einen Drink ausgehalten, aber jetzt gerade, nach diesem schrecklichen Tag, keimt das Bedürfnis auf, mich zu bet?uben – egal wie.

Ohne Lydia zu antworten, greife ich nach vorn und ?ffne die kleine Tür. Doch bevor ich nach der Glasflasche mit brauner Flüssigkeit greifen kann, packt Lydia mich am Handgelenk.

?Du wirst dich jetzt nicht betrinken, nur weil du einen Schei?tag hattest?, sagt sie bemüht ruhig.

Sie hat recht, das wei? ich. Trotzdem ignoriere ich sie und versuche mich sanft, aber bestimmt aus ihrem Griff zu befreien – jedoch ohne Erfolg. Sie hat ihre Finger fest in meinen Arm gekrallt. Ich ziehe ihn mit einem Ruck von ihr weg. Lydia rutscht nach vorn, und dabei wird ihre Tasche auf den Boden des Wagens katapultiert.

?Du Idiot?, faucht sie und beginnt sofort, ihre Sachen wieder einzusammeln, die nun überall verteilt liegen.

Seufzend beuge ich mich nach unten und helfe ihr. ?Sorry. Das wollte ich nicht.?

W?hrend Lydia mit zusammengepressten Lippen fahrig ihren Kram zusammenschiebt, sammle ich ein paar Stifte ein und halte sie ihr entgegen. Sie nimmt sie mir ab, ohne mich anzusehen. Anschlie?end hebe ich ihren Terminplaner auf, ein paar Tampons und eine runde wei?e Plastikdose, die aussieht wie eine Kaugummiverpackung. Der Deckel hat sich gelockert, und ich will ihn gerade festdrehen, als mein Blick auf den Schriftzug f?llt.

Pr?natale Vitamine: DHA, Omega-3s, Choline und Vitamin D

Zitronen-, Himbeer-und Orangengeschmack

Direkt neben dem Schriftzug ist die Silhouette einer Frau abgebildet, die sich den gerundeten Bauch h?lt.

Es fühlt sich an, als würde Percy den Wagen geradewegs über ein Schlagloch lenken, dabei stehen wir noch immer auf dem Parkplatz. Das Blut rauscht in meinen Ohren.

?Was ist das??, kr?chze ich und sehe von meiner Schwester zu der Packung und wieder zurück.

Jegliches Blut weicht aus Lydias Wangen, und sie starrt mich mit gro?en Augen an.

?Was ist das, Lydia??, wiederhole ich, diesmal mit festerer Stimme.

?Ich …? Lydia schüttelt nur den Kopf.

Ich lese mir den Schriftzug noch mal durch, dann ein weiteres Mal. Ich verstehe die W?rter, aber sie ergeben keinen Sinn. Wieder sehe ich Lydia an und ?ffne den Mund, um dieselbe Frage noch einmal zu stellen, da …

?Die geh?ren mir nicht?, platzt sie raus.

Ruckartig atme ich aus. ?Wem geh?ren sie dann??

Jetzt presst sie die Lippen aufeinander, bis sie blutleer sind. Sie schüttelt nur den Kopf, der Schock in ihren Augen ist unfassbar gro?. Ich will sie auf keinen Fall unter Druck setzen, aber sie soll wissen, dass sie mir vertrauen kann.

?Egal, was passiert ist – du wei?t, dass du mir alles sagen kannst, Lydia. Ich bin für dich da?, sage ich eindringlich.

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