Ich r?uspere mich, setze mich aufrecht hin und sage aus vollster überzeugung: ?Das ist die beste Bolognese, die ich je gegessen habe.?
Rubys Mutter l?chelt mich an. Ember murmelt hinter vorgehaltener Hand etwas, was wie ?Schleimer? klingt. Immerhin wirkt Mr Bells Gesicht danach ein bisschen freundlicher. Jetzt kann ich auch erkennen, dass Ruby und Ember ihre Augen eindeutig von ihm geerbt haben, und zwar nicht nur die Farbe, sondern auch die Intensit?t, die in ihren Blicken liegt.
?James?, sagt Mrs Bell – Helen, wie ich mich in Gedanken korrigiere –, als ich mir gerade einen weiteren Bissen Pasta in den Mund geschoben habe. ?Wei?t du schon, was du nach der Schule machen wirst??
Ich versteife mich automatisch. Doch dann sehe ich Rubys erwartungsvollen Blick, und er erinnert mich daran, dass diese Leute Rubys Familie sind und ich ihnen nichts vorspielen muss.
?Ich habe eine Zusage von Oxford bekommen?, antworte ich also z?gerlich, ohne die übliche H?rte in der Stimme. ?Und ich bin jetzt schon Teilhaber von Beaufort.?
?Wolltest du das schon immer machen??, fragt Helen weiter.
Okay. Vielleicht muss ich ihnen nichts vorspielen, aber ich kann auch nicht mein gesamtes Innenleben vor diesen nahezu Fremden freilegen. Das geht einfach nicht. Langsam zerkaue ich die Pasta und tue so, als würde ich nachdenken, um nicht sofort antworten zu müssen.
?Ruby wusste schon so früh, dass sie nach Oxford gehen m?chte. Manchmal frage ich mich, ob das bei allen Maxton-Hall-Schülern so aussieht?, setzt sie hinterher und l?chelt ihre Tochter an, die links neben mir sitzt und unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutscht.
Ich schlucke runter und trinke einen Schluck Wasser. ?Nicht alle sind so wie Ruby, das kann ich Ihnen versichern.?
?Was soll das denn hei?en??, fragt Ruby emp?rt.
?Ich kenne niemanden, der sich Oxford so sehr gewünscht hat wie du. Meine Freunde und ich haben auch darauf hingearbeitet, aber ich bin mir sicher, dass niemand so hart geschuftet hat wie du.? Ich überlege kurz, ob das zu sehr danach klingt, als wollte ich mich bei ihrer Familie einschmeicheln, indem ich Ruby vor allen lobe. ?Es kann aber auch sein, dass ich ein bisschen voreingenommen bin.?
Daraufhin lachen alle am Tisch. Anscheinend fanden sie das wirklich lustig. Ich runzle die Stirn. Alles, was ich gesagt habe, war absolut ehrlich gemeint. Ich h?tte nicht gedacht, dass sie darüber lachen würden. Ein ungewohntes Gefühl macht sich in meinem Bauch breit, und ich nehme noch eine Gabel voll Pasta, um es zu verdr?ngen.
Nach dem Essen helfe ich dabei, den Tisch abzur?umen. So etwas würde ich zu Hause niemals machen – dafür haben wir Personal –, aber hier packt jeder wie selbstverst?ndlich mit an, also z?gere ich keine Sekunde.
Au?erdem will ich wirklich, dass Rubys Eltern mich m?gen.
Ich kann verstehen, dass sie mir gegenüber skeptisch sind. Das w?re ich an ihrer Stelle auch.
?Kommt ihr beiden noch für einen Moment mit ins Wohnzimmer??, fragt Helen, als wir fertig sind. ?Oder musst du nach Hause, James??
Ich schüttle den Kopf. ?Nein. Nein, ich muss nicht nach Hause.?
?Wenn sie dir Fragen stellen, die du nicht beantworten m?chtest, sag einfach nichts?, flüstert Ruby in mein Ohr, als wir ihrer Mutter mit etwas Abstand aus der Küche folgen. ?Tut mir leid, dass es eben so unangenehm war.?
?Alles okay?, gebe ich genauso leise zurück. ?Mach dir keine Gedanken. Ich mag deine Eltern. Und Ember sowieso.?
Das l?sst ein L?cheln auf Rubys Lippen treten. Am liebsten h?tte ich ihre Hand genommen oder sie anderweitig berührt, aber in diesem Moment betreten wir das Wohnzimmer, in dem der Rest der Familie es sich bereits gemütlich gemacht hat.
Mir f?llt auf, wie ger?umig das Zimmer wirkt und wie minimalistisch es eingerichtet ist. Im Gegensatz zu Rubys ist es nicht vollgestellt, sondern offen mit viel freier Fl?che. Ich verstehe, warum das so sein muss, als Mr Bell seinen Rollstuhl hin und her man?vriert, bis er parallel zum Sofa steht. Danach nimmt er eine Art Fernbedienung in die Hand, und pl?tzlich wird das Sofa angehoben, bis es die gleiche H?he wie der Sitz des Rollstuhls hat. Mr Bell rutscht von einer Sitzfl?che auf die andere. Als er sieht, dass ich ihn dabei beobachte, will ich im ersten Moment hastig den Blick abwenden, widerstehe dem Impuls aber. Er soll nicht denken, dass ich es unangenehm finde, ihn so zu sehen – schlie?lich ist das für ihn eine ganz normale Sache. Also halte ich seinem Blick stand und deute auf das Sofa, das sich wieder zu senken beginnt.
?Ich habe so was noch nie gesehen?, sage ich ehrlich. ?Ist das ins Sofa eingebaut, oder …??
Mr Bell nickt. Falls er über meine Frage überrascht ist, zeigt er es nicht. ?Genauer gesagt, unters Sofa.?
Ember l?sst sich neben ihren Vater fallen. Sie lehnt sich kurz gegen seine Schulter, und pl?tzlich breitet sich ein liebevoller Ausdruck auf seinem Gesicht aus, der seine gesamte Mimik weich werden l?sst. So sieht wohl ein Vater aus, der sein Kind nicht blo? als einen Gesch?ftspartner betrachtet, den er für seine eigenen Zwecke instrumentalisieren kann.
?Setzt euch?, sagt Helen. Unschlüssig drehe ich mich zu Ruby, die mir die Entscheidung abnimmt und auf den Sessel gegenüber dem Sofa deutet. Sie selbst setzt sich neben Ember.
?Hast du schon mal Jenga gespielt, James??, fragt Ember unvermittelt, als ihre Mum ein Spiel in die Mitte des Wohnzimmertischs legt, das so aussieht, als würde es nur aus Holzkl?tzen bestehen. Ich be?uge es skeptisch und schüttle den Kopf. ?Nein.?
Embers Mund klappt kurz auf. ?Okay. Das ist …? Sie r?uspert sich. ?Ich wei? nicht, wie ich das finden soll.?
Ich hebe die Achseln. ?Sorry.?
?Das ist nicht schlimm?, springt Ruby ein und wirft Ember einen Blick zu, der deutlich besagt, dass sie jetzt besser schweigen sollte.
?Genau?, stimmt Helen zu. ?Es ist kinderleicht.?