?Bist du nicht das M?dchen, das auf Cyril Vegas Party in den Pool geschmissen wurde??, fragt sie und kommt einen Schritt auf mich zu.
Bei ihren Worten zucke ich zusammen. Dieser verdammte Pool ist für mich nur mit schrecklichen Erinnerungen verbunden, die ich am liebsten mit einer Lobotomie aus meinem Gehirn entfernen lassen würde.
Ohne zu antworten, warte ich darauf, dass das Band weiterf?hrt, damit ich mein Tablett abstellen und von hier verschwinden kann.
?James Beaufort hat dich doch damals nach drau?en getragen. Es gehen Gerüchte rum, dass du seine heimliche Freundin bist. Stimmt das??, f?hrt sie fort.
Es fühlt sich an, als würden sich die W?nde der Cafeteria langsam, aber sicher auf mich zubewegen. Mit Sicherheit würden sie mich jede Sekunde unter sich zermalmen.
?W?re sie seine Freundin, w?re sie ja wohl bei der Beerdigung gewesen?, gibt der Typ gerade so laut zurück, dass ich ihn h?ren kann.
?Na ja, deshalb liegt die Betonung ja auch auf heimlich. Vielleicht ist sie eines seiner schmutzigen Geheimnisse. Du wei?t, wie viele er davon hat.?
Ein lautes Klirren ert?nt.
Ich habe das Tablett fallen lassen.
überall zu meinen Fü?en liegen Scherben. Ich starre auf ein paar Erbsen, die über den Boden rollen, und schaffe es nicht, mich zu bewegen, um sie aufzuheben. Mein K?rper ist wie erstarrt.
?H?rt auf, so einen Dreck zu reden?, erklingt eine dunkle Stimme neben mir. Im n?chsten Moment legt sich ein Arm um meine Schulter, und ich werde aus der Mensa eskortiert. Hinter mir kann ich wie aus weiter Ferne Lin h?ren, die etwas ruft, aber Dunkle Stimme geht unbeirrt weiter und bringt mich weg von der Mensa bis ins Treppenhaus. Erst dann verschwindet der Arm von meiner Schulter, und die Person tritt vor mich. Ich blicke an der beigen Hose hinauf über den dunkelblauen Blazer in … Keshav Patels Gesicht.
Mehrmals muss ich blinzeln, bis ich realisiere, dass tats?chlich er es ist, der vor mir steht. Er hat das schwarze Haar zu einem tiefen Knoten gebunden und streicht gerade eine Str?hne nach hinten, die sich daraus gel?st hat. Danach richtet er seine dunkelbraunen, beinahe schwarzen Augen auf mich.
?Alles okay bei dir??, fragt er leise.
Ich glaube, ich kann an einer Hand abz?hlen, wie oft ich Keshav reden geh?rt habe. Von James’ Freunden ist er derjenige, der am stillsten ist. W?hrend ich Alistair, Cyril und Wren inzwischen wenigstens ein bisschen einsch?tzen kann, ist er für mich ein Buch mit sieben Siegeln.
?Ja?, kr?chze ich schlie?lich und r?uspere mich gleich darauf.
Ich blicke mich um und realisiere, wo wir uns befinden. Meine erste richtige Begegnung mit James hat hier stattgefunden: unter der Treppe, verborgen vor den Augen Neugieriger. Hier hat er versucht, mich zu bestechen, und ich habe ihm sein d?mliches Geld um die Ohren geworfen. Ich frage mich, ob mich in dieser verfluchten Schule ab sofort alles an James erinnern wird.
?Gut?, sagt Keshav. Im n?chsten Moment dreht er sich um, vergr?bt die H?nde in den Taschen und geht. Ich sehe ihm hinterher, bis er aus meinem Blickfeld verschwunden ist. Nach nicht einmal einer halben Minute eilt Lin mit finsterer Miene aus der Mensa und schaut sich suchend um.
?Ich bin hier, Lin?, sage ich und trete hinter der Treppe hervor.
?Ich habe ihnen meine Meinung gesagt?, knurrt sie, w?hrend sie auf mich zukommt. ?Solche Idioten. Was hatte es mit Keshav auf sich??
Stirnrunzelnd sehe ich in die Richtung, in die er verschwunden ist. ?Ich habe keine Ahnung.?
Das erste To-do des Veranstaltungsteams an diesem Nachmittag ist das Verpacken der Wichtelgeschenke. Die Schülerinnen und Schüler hatten in den letzten beiden Wochen Gelegenheit, Geschenke bei uns abzugeben, die dann traditionell am letzten Tag vor den Weihnachtsferien in den Klassen verteilt werden.
Normalerweise liebe ich es, die Briefe und Sü?igkeiten zusammenzubinden und in die kleinen Weihnachtsmann-Beutel zu packen, mit denen unsere Unterstufen-Postboten dann von Klassenraum zu Klassenraum gehen. Doch trotz der Weihnachtslieder, die wir angeschaltet haben, ist dieses Mal die Stimmung gedrückt.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass überdurchschnittlich viele der Briefe an die Beauforts adressiert sind und wir uns zun?chst nicht entscheiden k?nnen, was wir mit ihnen anstellen sollen. James und Lydia sind momentan nicht in der Schule, k?nnen sie also nicht selbst entgegennehmen, und ich bezweifle, dass es ihnen recht w?re, wenn wir sie zu ihnen nach Hause schickten. Ich wünschte, ich k?nnte die beiden einfach fragen, ob sie die Briefe wollen oder nicht. Da das aber keine Option ist, entscheiden wir per Abstimmung im Team und beschlie?en, sie vorerst zurückzuhalten. Schlie?lich wissen wir ja auch nicht, was in ihnen steht und ob sich irgendjemand m?glicherweise einen geschmacklosen Scherz erlaubt hat.
Den Rest des Meetings ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich auf den leeren Stuhl starre, auf dem James gesessen hat, als er seine Strafe bei uns abgearbeitet hat. Anscheinend würde mich ab sofort wirklich alles an ihn erinnern, dabei würde ich ihn und das, was wir miteinander erlebt haben, am liebsten einfach vergessen. Jedes Mal, wenn ich an ihn denke, fühlt es sich an, als würde jemand eine Hand in meinen Brustkorb sto?en, die Finger um mein Herz legen und fest zudrücken.
Ich bin so unsagbar wütend auf ihn.
Wie konnte er mir das antun?
Wie?
W?hrend mir beim Gedanken daran, irgendwen anders so nah an mich heranzulassen wie ihn, total schlecht wird, hat er, ohne zu z?gern, eine andere geküsst.